Wunde Punkte der Justiz

Das Bawag-Verfahren als Schreckgespenst der Justiz: Neuerdings macht es sogar Systemschwächen sichtbar.

Senatspräsident Thomas Philipp ist schuldlos: Er ist – besser gesagt, er war – laut Geschäftsverteilung der für das Bawag-Verfahren zuständige Senatspräsident des Obersten Gerichtshofes. Und nachdem einer der beiden OGH-Vizepräsidenten im Juni bei einem Autounfall tragisch ums Leben gekommen war und die Planstelle neu ausgeschrieben werden musste, bewarb sich Philipp für den Posten. Was kann ein Höchstrichter dafür, dass es in Österreich das Justizministerium ist, das den Posten vergibt (das letzte Wort hat der Bundespräsident) und dass die aktuelle Ministerin Claudia Bandion-Ortner heißt? Der OGH hat gehandelt. Er hat den „Bawag-Vorsitz“ intern neu vergeben. Die Bewerbung läuft weiter und zeigt a) eine Systemschwäche und b) ein persönliches Problem von Bandion-Ortner – die früher selbst den „Bawag-Vorsitz“ innehatte.


Beides ist denkbar einfach zu beheben: Ersteres dadurch, dass man die Besetzung höchster Justizposten nicht der Beurteilung und dem Wohlwollen politisch besetzter Stellen überlässt. Vielmehr sollte, wie auch in anderen Ländern, ein hohes Richtergremium („Rat der Gerichtsbarkeit“) über Richterposten entscheiden. Auch das zweite Problem ist leicht vermeidbar: Alle Richter eines noch laufenden Verfahrens à la „Bawag“ sagen künftig einfach Nein, wenn sie gefragt werden, ob sie in die Justizpolitik wollen. Oder ist das gar blauäugig?

manfred.seeh@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2010)

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