Neue schwere Vorwürfe gegen ein früheres Kinderheim der Stadt Wien.
Sorry to say: Manchmal kann sich der Beobachter des Eindrucks nicht erwehren, dass der Wille zur Aufklärung von Fällen sexueller Gewalt gegen Kinder enden wollend ist. Explizit soll hier einmal die katholische Kirche in Österreich ausgenommen werden. Dort wird vielen zu langsam, aber mit glaubhaftem Ernst ein erschreckend großer Aktenberg abgearbeitet. Nur was Bund, Länder und Gemeinden bezüglich Aufarbeitung von Verbrechen in eigenen Heimen und hinsichtlich des Ziehens von Konsequenzen – gesetzlicher, organisatorischer, präventiver Art – bisher geleistet haben, entspricht eher einem Minimalprogramm. Jetzt tauchen wieder schwere Vorwürfe gegen ein längst geschlossenes Heim der Stadt Wien auf. Die Fälle sind – verjährt. Wie so oft.
Zwar hat der Gesetzgeber 2010 den Beginn des Laufens der Verjährungsfrist mit Vollendung des 28.Lebensjahres des Opfers deutlich heraufgesetzt. Immerhin werden Experten nicht müde, darauf hinzuweisen, dass Betroffene meist Jahrzehnte benötigen – um sich selbst klar zu werden, was ihnen geschehen ist, und um das Schweigen zu brechen. Nur gilt die neue Regelung nicht rückwirkend. Pech für alle Opfer aus früheren Jahrzehnten. Der nun am Wochenende bekannt gewordene Fall muss zu einem kritischen Überprüfen der bisherigen Tätigkeit (und Untätigkeit) öffentlicher Stellen beim Verhindern und Aufdecken von Missbrauch führen. Und zumindest zu einer ernsthaften Debatte über Sinn und Unsinn von Verjährung bei sexueller Gewalt. Zumindest das sollten wir den Opfern schuldig sein.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2011)