Schwer zu sagen, was dümmer ist: Israels Einreiseverbot gegen Günter Grass oder dessen Gedicht.
Günter Grass hat ein elendes Gedicht geschrieben. Wer die Welt auf den Kopf stellt und Israel andichtet, das iranische Volk in einem Erstschlag auslöschen zu wollen, verzapft schlicht und einfach Unsinn. Deutschlands Großschriftsteller hat die vernichtende Kritik an seinem dilettantischen Agitprop-Gesäusel redlich verdient. Dass aber Israels Regierung Grass deswegen nun mit großer Geste zur Persona non grata erklärt, ist fast ebenso absurd und töricht. Ein demokratischer Staat wie Israel sollte in der Lage sein, auf eine schwachsinnige Meinungsäußerung, die sich selbst disqualifiziert, bei aller Verärgerung angemessen und souverän zu reagieren, ohne gleich hyperventilierend ein Einreiseverbot zu verhängen.
Es ist nicht bekannt, dass der 84-jährige Nobelpreisträger eine Frühjahrslesetournee durch Israels Stadien oder ein Strandwochenende in Tel Aviv geplant hätte. Das Einreiseverbot ist ein symbolischer Akt der Entrüstung, mit dem Eli Yishai, der notorisch platte Innenminister der orthodoxen Shas-Partei, billige Punkte im innerisraelischen Wettbewerb ums goldene Halsband für den schärfsten Hund sammeln will. Dabei nimmt er in Kauf, Grass, den verbalen Aggressor, zum Opfer einer übertriebenen Strafe zu adeln. Israels Regierung wäre besser beraten gewesen, zur lyrischen Logorrhö des falsch getakteten „Blechtrommel“-Autors zu schweigen und den Vorsitz im Scherbengericht dem deutschen Feuilleton zu überlassen. Doch so viel Zurückhaltung ist bei Israels regierender Testosterontruppe offenbar nicht drin.
Erst meldete sich, wenigstens noch ohne Ankündigung konsularischer Vergeltungsschläge gegen Grass, hochoffiziell das Amt von Premier Netanjahu zu Wort, jetzt legten auch noch sein Innenminister Yishai, der Grass auch gleich den Nobelpreis aberkennen will, sowie der brachial undiplomatische Außenminister Avigdor Lieberman nach.
Besonders ärgerlich an den Beiträgen der zwei Tiefflieger in Netanjahus Koalition ist, dass sie Grass leichtfertig als Antisemiten, also Judenhasser, verunglimpfen. Dazu gibt keine Zeile des Schriftstellers Anlass, auch nicht seine neun antiisraelischen Strophen. Yishai und Lieberman laden damit das in 99 Prozent der Fälle unbegründete Klischee auf, wonach Israel bei Kritik reflexartig die Antisemitismuskeule auspacke.
Nicht nur Grass hätte länger nachdenken sollen, bevor er dumpf absondert, was angeblich so dringend gesagt werden muss. Wo ist die Stopptaste? Die Debatte um das Gedicht bringt keinen Erkenntnisgewinn. Sie ist deshalb überflüssig.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2012)