Nachrichten, gute Nachrichten!

(c) Erwin Wodicka - wodicka@aon.at (Erwin Wodicka)
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Wir wollen mit dieser Sonderausgabe einmal bewusst im Positiven tun, was wir immer unbewusst im Negativen tun: das andere ausblenden.

Was in aller Welt bewegt Journalisten, die auf einem der zahllosen Höhepunkte der Eurokrise eine „Gute Presse“ produzieren? Ein Naivitätsanfall? Eskapistisches Delirium? Ein Originalitätstrauma? Ein vorauseilender Sonnenstich angesichts des bevorstehenden Beginns der Urlaubssaison mit Traumwetter?

Wie so oft lautet die Antwort: ein bisschen was von allem.

In den vergangenen Wochen ist die Idee entstanden, den Beginn der Urlaubssaison mit einer Sonderausgabe zu feiern, in der es nicht in erster Linie um Krisen und Katastrophen geht, sondern um die positiven Aspekte der Wirklichkeit, in der wir beschreibend leben. Naturgemäß hat dieser Wunsch in der Redaktion dieser Zeitung zu einer kontroversiellen Diskussion geführt. Ausgangspunkt dieser Debatte war die Frage, ob die Produktion einer „Guten Presse“ nicht ein Verstoß gegen die Selbstverpflichtung zu möglichst großer Objektivität sei. Man könne doch, so das Argument der Skeptiker, nicht die allgegenwärtigen negativen Aspekte an fast allem, worüber wir zu berichten haben, ausblenden.

Die Irritation, die eine Konzentration auf gute Nachrichten und positive Entwicklungen auslöst, zeigt aber am Ende nur, dass auch jener Normalfall des journalistischen Alltags, in dem wir uns, was die Erfüllung unserer Aufgaben betrifft, sehr sicher fühlen, durch eine eklatante Asymmetrie in unserer Wirklichkeitswahrnehmung geprägt ist.

Nicht, dass wir darauf nie aufmerksam gemacht würden. Wir sind ständig mit Rückmeldungen konfrontiert, in denen uns Einzelpersonen oder Institutionen darauf aufmerksam machen, dass wir ein falsches Bild erzeugen, indem wir ausschließlich über das wenige berichteten, das gerade einmal nicht funktioniere, ohne auf das viele zu verweisen, das tagtäglich zum Wohle vieler Menschen tatsächlich funktioniere. Wir interpretieren das in der Regel als Projektion: Menschen, die schwer damit zurechtkommen, dass ihr Versagen transparent geworden ist, versuchen, den Überbringer der schlechten Nachricht zum Schuldigen zu machen.

Oft wird das so sein. Aber die Ahnung, dass es uns nicht wirklich gelingt, ein umfassendes Bild der Wirklichkeit zu erzeugen, setzt sich fest. Es fällt uns überhaupt nicht schwer, die negativen Aspekte, die es in jeder Situation und bei jedem Handeln zu beobachten und zu beschreiben gibt, geringer zu gewichten. Mit der Übergewichtung des Positiven haben wir hingegen ein ernstes Problem. Man kann diese Sonderausgabe also auch als Exerzitien in Weltwahrnehmung verstehen, als geistliche Übung, in der wir, die Schüler, einmal bewusst im Positiven tun, was wir immer unbewusst im Negativen tun: das andere ausblenden.
Sie werden sehen, dass uns diese Übung nur bedingt gelingt. Die „Gute Presse“, die vor Ihnen liegt, ist keine „Jubelpresse“ geworden. Und sie ist auch nicht das luftige Anzeigenblättchen geworden, vor dem die internen Skeptiker in ihrem zweiten prinzipiellen Einwand gewarnt haben. Tatsächlich ist die „Gute Presse“ auch eine gemeinsame Reaktion von Redaktion und Verlag auf die Unsicherheit und Ratlosigkeit, die das politische und ökonomische Geschehen auf nationaler und internationaler Ebene prägen.

Dass wir uns in dieser Ausgabe auf positive Aspekte der Welt, in der wir leben, konzentrieren, war auch als Einladung an Unternehmen gedacht, ihre Kunden, unsere Leser, mit ihren Botschaften zu erreichen. Und sie wurde angenommen. Das halten manche für einen Grenzfall der journalistischen Ethik. Wir denken, dass es für eine Tageszeitung eher Teil der Normalität ist, durch Produkte Leserinteresse zu erzeugen, das auch Anzeigenkunden mit einer Grundaufmerksamkeit versorgt.

Wenn es denn so normal ist, warum erwähnen wir es dann? Nährt das nicht erst recht den Verdacht, dass es sich um einen billigen Akt der Schönfärberei zur Schaffung eines unproblematischen Werbeumfeldes handelt? Vielleicht. Wir stehen allerdings auf dem Standpunkt, dass es unsere Pflicht ist, ein inhaltlich-ethisches Problem, dessen Existenz redaktionsinterne Debatten zutage fördert, auch unseren Leserinnen und Lesern gegenüber transparent zu machen.

Bleiben wir aber, dem Motto dieser Ausgabe folgend, nicht bei den Problemen stehen, sondern wenden wir uns den Chancen zu: Vielleicht leisten unsere Exerzitien in Weltwahrnehmung einen Beitrag zu einer ausgewogeneren Gewichtung des Positiven und des Negativen in unserer journalistischen Alltagsarbeit. Wir gehen nämlich tatsächlich davon aus, dass wir das, was wir tun, noch besser tun können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2012)

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