Schweren Herzens: Ja zur Wehrpflicht

Schweren Herzens Wehrpflicht
Schweren Herzens Wehrpflicht(c) Clemens Fabry
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MeinungEine Woche vor der Befragung boten SPÖ und ÖVP noch einmal ihre Argumente auf: Vom "besten System Europas" bis zum "Luftschloss". Unsicherheitsfaktor ist die Beteiligung.Die Chance, dass eine künftige Regierung nachvollziehbare sicherheitspolitische Optionen entwickelt, ist größer als das Risiko der populistischen Verschlimmbesserung.

Am kommenden Sonntag sind wir also eingeladen, den Veitstanz, in dem ÖVP, SPÖ und „Kronen Zeitung“ rund um die Frage Wehrpflicht oder Berufsheer seit geraumer Zeit ihre psychopolitischen Probleme ausagieren, durch unsere Teilnahme zur Massenpsychose zu veredeln. Man kann jeden verstehen, der sich entschließt, diese Einladung zu ignorieren und den Initiatoren des organisierten Demokratiebetrugs zu signalisieren, dass man nicht bereit ist, sich auf so dreiste Weise für dumm verkaufen zu lassen. Das Problem von Signalen besteht allerdings darin, dass ihre Wirksamkeit von der Fähigkeit und der Bereitschaft des Empfängers abhängt, sie zu verstehen. Gehörlose können durch einen Warnruf nicht vor einem Unfall bewahrt werden, Blinde kann man nicht durch Warnschilder auf Gefahren aufmerksam machen.

Weder die demokratiepolitischen noch die sicherheitspolitischen Argumente, die überzeugend die geradezu empörende Unangemessenheit sowohl des pseudodemokratischen Prozederes als auch der Fragestellung deutlich machen, haben eine Chance, in das politmediale Paralleluniversum vorzudringen, in dem sich diese Farce abspielt. Wie hermetisch sich die Politik in diesem Paralleluniversum eingeschlossen hat, machten am Sonntag die beiden „Pressestunden“ deutlich.

Was also tun am kommenden Sonntag? Nicht hingehen, um seinem Zorn über den demokratiepolitischen Betrug Ausdruck zu verleihen? Hingehen und sowohl A als auch B ankreuzen, um diesen Protest gewissermaßen aktiv zu formulieren? Für ein Berufsheer stimmen, damit sich überhaupt etwas ändert? Für die Wehrpflicht stimmen, damit dem Land die Operation an einem wichtigen Organ durch politische Kurpfuscher erspart bleibt?

Alle diese Optionen sind substanzieller als die Fragestellung selbst. Angesichts der Tatsache, dass die meisten Kommentatoren eine Festlegung samtpfötig umschleichen, indem sie sich auf die risikofreie Ironisierung des Geschehens an sich zurückziehen, muss man „Profil“ für die klare Positionierung dankbar sein, die es in der aktuellen Ausgabe anbietet: Ja zum Berufsheer. Auch wenn die im Leitartikel angeführten Punkte meinem Verständnis des Begriffs „Argument“ nicht sehr nahe kommen, halte ich die Position „Ändern wir etwas, damit sich etwas ändert“ für konsistent.

Ich selbst werde an der Volksbefragung teilnehmen, weil ich nicht glaube, dass Herr Faymann und Herr Spindelegger mein ablehnendes Statement zu ihrer Demokratiefarce verstehen. Und ich werde für die Beibehaltung der Wehrpflicht stimmen, obwohl ich prinzipiell für ein Berufsheer bin: für eines, das klar definierte Teilaufgaben innerhalb einer europäisch-transatlantischen Sicherheitsarchitektur (also gegenwärtig der Nato) übernimmt. Vor die Wahl gestellt, einen unbefriedigenden Zustand aufrechtzuerhalten oder seine Verschlimmbesserung durch inkompetente Politiker zu riskieren, entscheide ich mich schweren Herzens für den Status quo.

Die Chance, dass eine kompetente Regierung von diesem Status quo aus valide sicherheitspolitische Optionen entwickelt und uns zur Entscheidung vorlegt, ist nicht groß. Aber sie ist größer als das Risiko, den absurden Auftrag, unter Beibehaltung der immerwährenden Neutralität ein Berufsheer aufzustellen, als Freibrief für die Fortsetzung des Populismus mit den Mitteln der Sicherheitspolitik zu verstehen. Mein Ja zur Wehrpflicht will sagen: Zurück an den Start.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2013)

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