So ist er eben, der Serbe

Die Unruhen von Belgrad machen es den ignoranten Europäern zu leicht, ihr Balkan-Klischee zu pflegen.

So ist er nämlich, der Serbe: Wenn er nicht kriegt, was er will, oder wenn man ihm wegnimmt, was er nicht hergeben will, brüllt er sich die slawische Seele aus dem Leib und zündet Häuser an. Drum mögen wir ihn nicht. Und wenn wir gerade einen auf Bildungsbürger machen wollen, zitieren wir nicht ohne Begeisterung für unsere Originalität und Belesenheit aus „Die letzten Tage der Menschheit“: Serbien muss sterbien.

Ungefähr in dieser Preisklasse bewegt sich das, was die Belgrader Bilder von brennenden Botschaftsgebäuden und randalierenden Säuferbanden in den österreichischen Wohnzimmern auslösen. Das Klischee vom brutalen, unzivilisierten Balkan-Menschen, bei dem das Messer besser sitzt als die Krawatte, scheint nur darauf zu warten, dass es durch jenen Teil der Realität aktiviert wird, den wir fernsehbildlich vermittelt bekommen. Den anderen Teil, der von einer scharfsinnigen, hochpolitisierten, weltoffenen und kunstsinnigen jungen Szene berichtet, kennen wir nur aus privaten Erzählungen. Freunde und Kollegen, die in dieses junge Belgrad eingetaucht sind, sprühen vor Begeisterung für eine Dynamik, die sie zu Hause nie gespürt haben.

Dafür brennen in Wien keine Botschaften. Stimmt. Aber die geistige Wohlstandsverwahrlosung unserer properen Sozialstaatssprösslingskaffeekränzchen lässt sich halt auch etwas leichter administrieren als das Feuer einer Gesellschaft, die am Ende einer Geschichte des Niedergangs so etwas wie eine Perspektive entwickeln muss. Vom dominierenden Faktor des südslawischen Reiches über die bestimmende Kraft eines derivativen Kommunistenregimes zum narkosefrei amputierten Rest zu schrumpfen, den keiner will: Wer kann sich das vorstellen?


Es muss wohl ungefähr so sein, wie es in Österreich gewesen ist, als von Kakanien der Clemenceausche „Rest“ geblieben ist: acht Millionen Menschen, die nicht mehr so recht wissen, wer sie sind. Vielleicht sollte eine Gesellschaft, deren Vorgängergenerationen auch einen weiten, teils schrecklichen Weg gegangen sind, bis sie sich mit der neuen Situation anfreunden konnten, etwas weniger besserwisserisch mit den großserbischen Phantomschmerzen umgehen, als deren Ausdruck man das aktuelle Geheul aus Belgrad wohl wird interpretieren müssen.

Besonders aus Brüssel sollten vorsichtige, einladende, ja entschuldigende Töne kommen: Die Europäische Union hat während der vergangenen eineinhalb Jahrzehnte auf dem Balkan in einem Ausmaß Unheil zugelassen und seine Unfähigkeit zur Konfliktlösung demonstriert, das jedes großsprecherische Auftreten gegenüber der heutigen serbischen Führung zur Farce geraten lässt. Als man dem Massenmörder Milosevic gegenübersaß, beließ man es im Wesentlichen beim Reden und ließ sich des Langen und Breiten darüber aus, wie wichtig es sei, auch mit schwierigen Partnern im Gespräch zu bleiben. Jetzt, wo man mit dem Risiko konfrontiert ist, dass sich ein verunsichertes, gedemütigtes Land noch einmal den Lockungen des Nationalen hingibt, will der Brüsseler Rachitiker den starken Mann spielen? Lächerlich.


Man gewinnt den Eindruck, dass hinter der ostentativen Abscheu des Westens vor dem nachgerade irren Pathos der serbischen Nationalisten auch eine Portion versteckter Neid steckt: Irgendwo da unten gibt es noch Menschen, die etwas jenseits ihrer Gehalts- und Pensionsansprüche für unverhandelbar halten. Die das großzügige Angebot des österreichischen Bundeskanzlers, als Gegenleistung für die Anerkennung des Kosovo ein paar Euronen nach Südosten zu schupfen, mit Fassungslosigkeit quittieren. Tausche U-Ausschuss gegen Gusi-Hunderter: So weit sind die Serben noch nicht.

Noch lässt sich schwer abschätzen, wie weit die rückwärtsgewandte Hälfte der serbischen Gesellschaft gehen will und kann, noch weiß man nicht, was die bosnischen Serben mit ihrer „Republika Srpska“ wirklich vorhaben. Aber egal, was passiert: Serbien wird sterbien, wenn es nicht gelingt, dem Land und seiner Bevölkerung eine europäische Perspektive von Wohlstand und Sicherheit zu bieten. Wenn sich die Europäer damit begnügen, die wütenden Proteste, das nationale Pathos und die großserbische Rhetorik ins Mosaik seiner Balkan-Klischees einzuordnen, machen sie sich ein zweites Mal am Balkan schuldig: Sie hätten dem Despoten Milosevic ins Messer fallen müssen. Und sie müssen die proeuropäischen Kräfte in Serbien mit allen Mitteln unterstützen.

Belgrad nach den Unruhen Seite 8


michael.fleischhacker@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2008)

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