Gegen die Moden des Augenblicks

Die jüngste „Sozial“-Enzyklika ist, wie alles, was dieser Papst schreibt, ein Angriff auf den Relativismus.

Joseph Ratzinger, der deutsche Papst Benedikt XVI., ist ein großer Theologe und Philosoph, kein begabter Politiker    und Kommunikator. In der Regel wird das als Argument ins Treffen geführt, wenn sich die Welt über politische Ungeschicklichkeiten und/oder Provokationen des Papstes Gedanken macht. So war es nach der Regensburger Rede des Papstes über den Islam und den Westen, so war es auch bei der Bemerkung, die indigenen Ureinwohner Lateinamerikas hätten die christlichen Missionare unbewusst herbeigesehnt.


Karol Wojtyla, der polnische Papst Johannes Paul II., war ein großer Kommunikator und Politiker, aber kein besonders begabter Theologe. Das war der Grund dafür, dass er sich Joseph Ratzinger als Präfekten der Glaubenskongregation an seine Seite holte. Er sollte ihn gewissermaßen auf seinen politischen Klettertouren theologisch absichern. Es ist angesichts dieser Erfahrung umso erstaunlicher, dass Benedikt XVI. offensichtlich nicht dafür gesorgt hat, in seiner Umgebung Menschen zu haben, die ihn während seiner philosophisch-theologischen Klettertouren politisch und kommunikativ absichern.


Im Zusammenhang mit der jüngsten Veröffentlichung des Papstes, der Sozialenzyklika „Caritas in Veritate“ war die Gefahr freilich nicht besonders groß: Viel kann einem katholischen Papst derzeit nicht passieren, wenn er ein wenig Kapitalismuskritik übt, an das Gemeinwohl appelliert, einen schonenderen Umgang mit den natürlichen Ressourcen einmahnt und für eine koordinierte Steuerung der Globalisierung eintritt.

Aber man merkt dieser Enzyklika natürlich an, dass hier ein Theologe und nicht ein Politiker am Werk war, sogar dort, wo merklich unterschiedliche Autoren am Werk gewesen sind. Das Anliegen dieses Textes ist erkennbarerweise nicht die Analyse der gegenwärtigen ökonomischen Situation entlang der Prinzipien der katholischen Kirche, speziell ihrer Soziallehre. Ihr Anliegen ist die Festigung der christozentrischen Prinzipien der katholischen Dogmatik unter Zuhilfenahme einiger Anschauungsbeispiele aus der ökonomischen Gegenwart.


Benedikt XVI. hat mitten in der größten Wirtschaftskrise seit Menschengedenken eine Sozialenzyklika veröffentlicht, von der man sich erwartet hat, dass sie eine besonders scharfe Abrechnung mit dem Liberalismus beinhalten würde. Die Platzierung der Veröffentlichung so knapp vor dem G8-Treffen in L'Aquila hatte die Erwartungen zusätzlich in die Höhe getrieben. Aber so stark viele Appelle in Richtung Gemeinwohl, schonenden Umgangs mit Ressourcen und zivilgesellschaftlichen Engagements auch ausgefallen sind: Bedeutung hat die Enzyklika „Caritas in Veritate“ nur im theologischen Kontext.

Nicht umsonst schließt Benedikt XVI. bei Paul VI. an und nicht bei Johannes Paul II. Der polnische Papst hatte in seinen Sozialenzykliken eine gewisse Anpassungsfähigkeit an die politisch-ökonomischen Realitäten erkennen lassen. In „Laborem Exerzens“ (1981) standen noch der Mitbesitz der Arbeiter an den Produktionsmitteln und das Prinzip des Vorrangs der Arbeit vor dem Kapital im Mittelpunkt, in „Sollicitudo Rei Socialis“ (1987) gab es gleichermaßen Kritik für den liberalistischen Kapitalismus und den marxistischen Kollektivismus. „Centesimus Annus“ (1991) hingegen ist für die Passage berühmt, wonach „der freie Markt das wirksamste Instrument für den Einsatz der Ressourcen und für die beste Befriedigung der Bedürfnisse zu sein“ scheint. Paul VI. hingegen verfolgte mit „Populorum Progressio“ vor allem ein theologisches Programm: die Rückführung der angesichts globaler Fragen erforderlichen globalen Ethik und Moral auf den christlichen Schöpfergott.
Das ist auch das Anliegen Ratzingers: Die konkrete Regulierung der Finanzmärkte spielt sich jenseits seines Wahrnehmungshorizonts ab. Aber die Möglichkeit, den gesteigerten Bedarf an Ethik und Moral für einen intellektuellen Schlag gegen den Relativismus zu nutzen, konnte und wollte er sich nicht entgehen lassen. Die Kernpassage dieser Enzyklika lautet: „Der Humanismus, der Gott ausschließt, ist ein unmenschlicher Humanismus. Nur ein für das Absolute offener Humanismus kann uns bei der Förderung und Verwirklichung von sozialen und zivilen Lebensformen (. . .) leiten, indem er uns vor der Gefahr bewahrt, zu Gefangenen von Moden des Augenblicks zu werden.“


Für jemanden, der in den Kategorien des Ewigen und Absoluten denkt, ist letztendlich auch eine Wirtschaftskrise so etwas wie eine Mode des Augenblicks.

michael.fleischhacker@diepresse.com

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