Logik statt Twitter

Die Audimax-Demonstranten sind gute Österreicher. Sie verwechseln Chancengleichheit und Leistungsfreiheit.

Studentenrevolten sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren, werden sich die alten Kameraden denken, die in den 60er-Jahren die Welt im Allgemeinen und die Universitäten im Besonderen verbessern wollten. Die Mischung aus Flashmob-Party und Voodoo-Ideologie im Audimax der Uni Wien, die man als Internetnutzer in Echtzeit verfolgen konnte, hinterlässt einen ambivalenten Eindruck.

Da lassen sich zunächst wieder die Organisationsformen und -muster beobachten, die spätestens seit der iranischen „Twitter-Revolution“ als Musterbeispiele „wirklicher Demokratie“ gelten. Die etablierten Institutionen schauen in solchen Situationen ein wenig alt aus, diesfalls die Österreichische Hochschülerschaft (ÖH) als gesetzliche Interessenvertretung der Studierenden. Sie unterstützt das Ding irgendwie, scheint aber nicht zu wissen, was sie wollen soll. Die politischen Parteien wissen auch nicht, was sie mit der Sache anfangen sollen. Und dass Peter Pilz der Party einen Besuch abstattete, um zu versichern, dass er spätestens dann wieder da sein würde, wenn die Polizei versuchen sollte, das Audimax zu räumen, sagt auch mehr über den Zustand des Peter Pilz aus als über den Zustand der österreichischen Universitäten.

Um diesen Zustand geht es ja eigentlich bei den Protesten. Und der ist miserabel, da haben die selbst organisierten Studenten sicher recht. Allerdings gehen die Forderungen, die man aus dem Wust der basisdemokratischen Meinungsflut destillieren kann, an den wirklichen Problemen der österreichischen Universitäten meilenweit vorbei. Der alte Hut vom freien Hochschulzugang passt nicht mehr.


Schon vor zehn Jahren hat sich gezeigt, dass der österreichische Sonderweg in der Universitätspolitik am Ende der Sackgasse angekommen ist, in die man unter der Führung von Bruno Kreisky so stolz geschritten war. Die Idee, dass der freie Hochschulzugang großflächig „soziale Mobilität“ – also das Ende der „Vererbung“ akademischer Abschlüsse von einer Generation auf die andere – zur Folge haben würde, hat sich schon damals als Irrtum erwiesen. Statt für eine Chancenumverteilung zu sorgen, hat er ein System der Umverteilung von unten nach oben etabliert und zementiert: Es wurden weiter in erster Linie die Kinder von Akademikern Akademiker, nur wurden diese Abschlüsse nun nicht mehr von den Akademikerfamilien finanziert, sondern von der öffentlichen Hand. Also auch von den Eltern jener Jugendlichen, die weiterhin keinen akademischen Abschluss erwarben.

Hinter dieser Fehlentwicklung steckt ein prinzipieller Irrtum, der in Österreich zum gesellschaftspolitischen Common Sense geworden ist und nicht nur die Bildungspolitik, sondern auch die Sozialpolitik an den Rand der Unreformierbarkeit gebracht hat: die Verwechslung von Chancengleichheit und Leistungsfreiheit. Eine Gesellschaft, die ihre öffentlichen Zuwendungen nicht an Leistungskriterien bindet, schafft keine Chancengleichheit. Sie verhindert sie, indem sie Erfolgsaussichten an bereits vorhandene materielle Ressourcen bindet.


Die von der schwarz-blauen Regierung eingeführten Studiengebühren waren eine – funktionierende – Notlösung zur Reduktion der Studierendenzahlen und Erhöhung der Mittel. Das hätte die Möglichkeit geboten, im nächsten Schritt das einzig sinnvolle Universitätssystem zu etablieren: eine begrenzte, aber gut ausgestattete Zahl von Studienplätzen, die nach Leistungskriterien vergeben werden. Studiengebühren, die als Gegenleistung für verbesserte Zukunftschancen zu dieser Ausstattung beitragen und über umfangreiche Stipendienangebote soziale Selektion verhindern. Das schafft Chancengleichheit. Leistungsfreiheit hingegen führt nur dazu, dass die zu einem Abschluss gelangen, deren Eltern sich das Studium ihrer Kinder lange genug leisten können.

Man muss der schwarz-blauen Regierung vorwerfen, dass sie diese Chance nicht genutzt hat. Mit der Abschaffung der Studiengebühren in der Wahlgeschenksorgie vom 24. September 2008 ist aber auch der notdürftige Damm der Studiengebühren gebrochen. Wir stehen wieder dort, wo wir 2000 gestanden sind. Wissenschaftsminister Johannes Hahn tut so, als ob es mit der Wiedereinführung der Studiengebühren getan wäre. Er irrt. Sie könnten maximal die Atempause bringen, die sie schon 2000 gebracht haben. Vielleicht hofft er, dass das bald nicht mehr sein Problem ist.

Die protestierenden Studenten im Audimax schlagen zur Lösung ihres Problems die Maßnahmen vor, die es verursacht haben. Vielleicht wäre es schlauer, per SMS eine Logikvorlesung zu organisieren, als Uraltparolen zu twittern.


michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2009)

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