Wiener Wurzeln, Brüsseler Töpfe

Die Debatte über das EU-Ressort von Johannes Hahn ist bedeutungslos. Die Frage ist, ob er seine Chance nützt.

Wer wissen will, warum das österreichische Politkabarett sich in einer Jahrhundertkrise befindet, muss sich nur kurz durch die Diashow auf diepresse.com/home/politik/eu klicken. Dort finden sich einige Reaktionen österreichischer Politiker auf die Ernennung von Johannes Hahn zum EU-Kommissar für Regionalpolitik.

Beherrscht wird der Reaktionenreigen erwartungsgemäß von dem in Österreich zum Allgemeinwissen gehörenden Missverständnis, dass es sich bei der EU-Kommission um eine Art besser bezahlte Botschafterveranstaltung handle, in der jeder Vertreter die Position seines Landes vertritt. Daraus folgt unmittelbar Missverständnis zwei, demzufolge die mit einem Ressort verbundenen Mittel aus dem EU-Budget einigermaßen direkt in das Land fließen, aus dem der Kommissar kommt.

Das Ressort Regionalpolitik, für das Johannes Hahn während der kommenden Jahre zuständig sein wird, gehört der Dotierung nach zu den Spitzenressorts, weshalb wohl auch Vizekanzler und Finanzminister Josef Pröll erklärte, „wir“ hätten „das Beste für Österreich herausgeholt“. Wer immer „wir“ auch sein mögen.

BZÖ-Chef Josef Bucher hingegen, einer der angesehensten EU-Experten von Friesach und Umgebung, meint, Österreich steige „nach starken Ressorts wie Landwirtschaft und Außenpolitik von der Champions League in die Regionalliga ab“. Buchers Einschätzung ergibt zwar nach den gängigen Kriterien der Ressortbedeutung wenig Sinn, irgendein Kalauer in Richtung „Regionalliga“ lag aber vor dem Hintergrund des österreichischen Nominierungsvorgangs in der Luft. Man könnte es auch mit Geistreichem in Richtung Provinzialismuskommissar versuchen.


Sehr subtil fällt hingegen die Beurteilung der Ressortverteilung durch Helmut Mödlhammer, den Chef des österreichischen Gemeindebundes, aus. Diese Entscheidung sei „ein wichtiges Signal für die Bedeutung der Gemeinden und Regionen“, ließ er wissen. Der Bedeutungsverlust, der für die Kommunen mit der Nominierung eines Kandidaten aus irgendeinem Zwergstaat wie Frankreich oder England einhergegangen wäre, ist ja in der Tat kaum auszudenken. Dass sich jetzt der Österreicher Hahn selbst der Sache annimmt, zeigt hingegen, wie wichtig die Gemeinden und Regionen für eine gedeihliche Entwicklung Europas sind.

Entscheidungsprozesse wie die Ressortverteilung in der Europäischen Kommission sind eine ziemlich komplexe Angelegenheit. Am Ende wird niemand genau sagen können, wer warum welches Ressort ausgefasst hat. Nicht einmal die gängigste Interpretation, dass nämlich das politische und finanzielle Gewicht eines Ressorts Auskunft über das politische Gewicht des Entsenderlandes gibt, lässt sich durchgängig belegen. In der Regel sind die jeweiligen Einschätzungen, ob man es als Mitgliedstaat „gut getroffen“ habe, ein Echo der innerstaatlichen Debatten über die Nominierung des jeweiligen Kommissars.

Ein Ressort, das so groß und wichtig ist, dass es über die Peinlichkeit des österreichischen Bestellungsvorgangs hätte hinwegtäuschen können, gibt es nicht.


Faktum ist nun also, dass Johannes Hahn die politische Verantwortung für einen der größten Fördertöpfe der Europäischen Union übernehmen wird. Damit kann er die Entscheidung darüber, in welche Regionen und Strukturen die EU während der nächsten Jahre investiert, maßgeblich beeinflussen. Wenn es ihm gelingt, seinem Beamtenapparat politische Vorgaben zu liefern, aufgrund derer seine Mitarbeiter ein schlüssiges Konzept entwickeln können, das zunächst die Zustimmung der übrigen 26 Kommissionsmitglieder und dann aller im Rat vertretenen Mitgliedstaaten findet. Zugleich muss er Wege und Mittel finden, die in seinem Zuständigkeitsbereich besonders weit verbreitete Neigung zu Intransparenz und Korruption zu begrenzen, denn kaum sonst wo in der Union verschwindet derart viel Geld in dubiosen Kanälen wie im Bereich der Struktur- und Regionalfonds.

Wenn sich also herausstellt, dass Johannes Hahn kein Topflappen, sondern ein Politiker ist, der klare Zielvorstellungen mit akribischem Wissen, Durchsetzungskraft und Konfliktbereitschaft verbindet, steht ihm eine große EU-Karriere bevor.

Hahn selbst hat erklärt, er kehre mit dem Ressort Regionalpolitik zu seinen politischen Wurzeln zurück, was man nur als Hinweis auf seine Tätigkeit in der Wiener Landesregierung verstehen kann.

Das hört sich nicht so an, als ob er vorhätte, die Chance, die sich ihm bietet, ernsthaft zu nutzen.


michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

EU-Kommission: Barrosos "perfektes Team"
Europa

EU-Kommission: Barrosos "perfektes Team"

Kommissionspräsident Barroso zeigt sich überzeugt, die richtigen Kandidaten ausgewählt zu haben. Neun Kommissare sind Frauen.
Michel Barnier
Europa

Finanzaufsicht: Albtraum für britische Banker wird wahr

Binnenmarktkommissar Michel Barnier bleibt doch für die Finanzbranche zuständig. Er setzt sich für die Verschärfung der Aufsicht über Banken, Fonds und Versicherungskonzerne und den Abbau von Markthindernissen ein.
Europa

Regional-Kommissar verwaltet zweitgrößten EU-Topf

Sollte Johannes Hahn wirklich EU-Kommissar für Regionalpolitik werden, verwaltet er künftig ein Budget von 347 Milliarden Euro.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.