Die Räumung des Audimax kündigt das Ende der Studentenproteste an. Schade um eine vertane Chance.
Mit dem Räumen ist das so eine Sache: Der Schnee am Wochenende hat die Stadt Wien ein bisserl überfordert. Der fiel ja auch außerhalb der Amtsstunden, der Kerl. Und kalt war's auch. Aber Montagfrüh, da lief der Apparat wieder einigermaßen, auch bei der Polizei. Sie hat das Audimax geräumt, den größten Hörsaal der Universität Wien. Er war zunächst das Epizentrum von etwas, das wie eine Studentenrevolte aussah, und entwickelte sich im Lauf der Wochen in jeder Hinsicht zur Obdachlosenheimstatt.
Dass die Studentenproteste nach zwei Monaten dieses irgendwie unrühmliche Ende nehmen würden, war abzusehen. Die Besetzer waren von Beginn an nicht in der Lage, ihre Anliegen konzise zu formulieren, sie verzettelten sich thematisch und organisatorisch. Dadurch machten sie es Sektierern und Obskuranten leicht, die Protestbewegung zu instrumentalisieren. Das wiederum macht es der österreichischen Politik und den Rektoren zu einfach, sie einfach zu ignorieren.
Die Proteste, sagen die Studenten, würden auch nach der Räumung weitergehen. Kann schon sein, aber werden sie irgendwann auch in der Lage sein, klarzumachen, wogegen sie protestieren und wofür sie konkret kämpfen?
Auch die Politik, das haben diese zwei Monate gezeigt, wird in nächster Zukunft nicht bereit und in der Lage sein, so etwas wie ein hochschulpolitisches Konzept vorzulegen. Weder der Bundeskanzler noch der Wissenschaftsminister hat die Öffentlichkeit wissen lassen, welchen Teil der Forderungen sie für berechtigt halten und welchen nicht. Vor allem aber weiß nach wie vor niemand, was die Studierenden und Lehrenden der österreichischen Universitäten heute und in Zukunft an organisatorischen und finanziellen Rahmenbedingungen zu erwarten haben.
Der „Hochschuldialog“, den der hilflose Wissenschaftsminister nach einer mehrwöchigen Schrecksekunde ins Leben gerufen hat, ist die typisch österreichische Lösung. Österreich ist ja das Land, in dem man alles daransetzt, eine Lösung zu finden, ehe man das Problem verstanden hat. Bis Juni 2010 wird man sich also sicher über die Verwendung der 34Millionen Euro einigen können, die der Noch-Wissenschaftsminister als eine Art Gnadenbrot zurücklässt, ehe er sich nach Brüssel verabschiedet. Aber die strukturelle Frage, an der alles Weitere hängt, wird auch der Hochschuldialog nicht beantworten: ob es für die Republik sinnvoll ist, den Mythos vom „freien Hochschulzugang“ aufrechtzuerhalten.
Wer das will und außerdem gegen die Einführung von Studiengebühren ist, muss wissen, dass er den Universitäten sehr viel mehr Geld zur Verfügung stellen muss, um die Verstopfungseffekte, die wir jetzt an den Unis sehen, zu mildern. Oder aber man bekennt sich ehrlich dazu, eine festgelegte Zahl von Studienplätzen finanziell so auszustatten, dass für alle, die aufgrund einer leistungsorientierten Selektion einen Studienplatz erhalten, ein reibungsloser Studienbetrieb möglich wird. Soziale Selektion lässt sich durch ein vernünftiges Stipendien- und Kreditsystem vermeiden.
Nach allen Erfahrungen, die wir bisher gemacht haben, wäre zusätzliches Geld im bisherigen System schlecht eingesetzt, weil es Umverteilung von unten nach oben bedeutet. Aber welche Entscheidung auch immer die Politik treffen würde: Sie wäre die Grundlage für eine ernsthafte Debatte.
Derzeit sieht die Position der österreichischen Regierung, wenn man von einer solchen überhaupt sprechen kann, so aus: Wir wollen beim freien Hochschulzugang bleiben, aber nicht nennenswert mehr Geld in das universitäre System investieren. Das führt zwangsläufig zu einer untragbaren Situation, wie wir sie eben derzeit an den Universitäten haben.
Der berechtigte Unmut über diese Situation stand am Anfang der sich jetzt auflösenden Protestbewegung. Man kann den Akteuren den Vorwurf nicht ersparen, dass sie für ihr Scheitern selbst verantwortlich sind: Erwachsenen Menschen, die sich selbst als die künftige Elite dieser Gesellschaft sehen, muss man zutrauen können, dass sie sich ein konsistentes Bild ihrer Situation machen und daraus nachvollziehbare, konkrete Forderungen ableiten.
Noch viel mehr müsste man aber von einer Regierung erwarten können, dass sie ein nachvollziehbares Konzept für die Ausbildung der künftigen Elite des Landes hat. Das hat sie nicht, und deshalb hat sie sich den schärfsten Protest einer Generation verdient, deren Zukunft nicht ernst genug genommen wird.
Schade, dass diese Chance nicht genutzt wurde.
michael.fleischhacker@diepresse.com
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2009)