Die Schwäche des Asylrechts: Es lässt zu viel Missbrauch zu

Die entscheidende Frage lautet: Ist das Asylrecht schlecht, oder ist es der Vollzug? Die Kapitäne der Menschlichkeitsindustrie behaupten, es sei das Gesetz. Sie irren.

Wie oft haben wir in den vergangenen Jahren aufgrund von spektakulären Einzelfällen über das österreichische Asylrecht und seine Anwendungspraxis diskutiert? Dutzende Male, und es passierte immer nach demselben Muster: Der Einzelfall zeige, wie unmenschlich die Gesetze seien, und man müsse diese endlich reparieren, hieß es. Diese Einschätzung wurde von den österreichischen Boulevardmedien, angeführt vom ORF, durch rührseliges Bild- und Tonmaterial untermauert. Trotzdem hat sich in allen Fällen – am spektakulärsten im Fall Zogaj – herausgestellt, dass sie falsch ist.

Das österreichische Asylrecht hat eine einzige Schwäche: Es lässt aus Rücksicht auf rechtsstaatliche Prinzipien noch immer zu viel Missbrauch zu. Aber zu dieser Schwäche sollten wir stehen: Es darf nicht sein, dass auch nur ein einziger Mensch, der tatsächlich verfolgt wird, durch die Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien – zum Beispiel Berufungsrechte – zu Schaden kommt. Um das zu gewährleisten, muss man in Kauf nehmen, dass immer noch zu viele Menschen unter bewusst missbräuchlicher Ausnutzung des Asylrechts ihre Einwanderungspläne umzusetzen versuchen.

Um es noch einmal am Fall Zogaj deutlich zu machen: Dass es nach Jahren zu den dramatischen Szenen rund um die missglückte Abschiebung der Familie kam, hat einen einzigen Grund. Dass das österreichische Asylrecht und sein Vollzug relativ viel Spielraum für Missbrauch eröffnen. Vater Zogaj musste wissen, dass sein Asylantrag nach Ende des Kosovo-Krieges vollkommen chancenlos war. Er wird auch gewusst haben, dass es dennoch eine gute Chance gibt, zu einem Aufenthaltstitel zu gelangen: wenn es gelingt, das Verfahren so lange hinauszuzögern, dass eine Abschiebung angesichts der inzwischen erfolgten Integration vor allem der Kinder als besondere Grausamkeit erscheinen muss.

Betroffene und Hilfsorganisationen können sich auch darauf verlassen, dass bei entsprechendem öffentlichen Aufsehen Politiker auf den Plan treten, die sich durch ein besonders ausgewogenes Verhältnis zwischen Ahnungslosigkeit und Bedeutungsillusion auszeichnen. Barbara Prammer, der Präsidentin des österreichischen Nationalrates, hat es am Freitag gefallen zu erklären, sie sei „es wirklich leid, die Debatte so zu führen“. Ungeduldig, „um nicht zu sagen zornig“ sei sie, weil das Fremdenrecht noch immer nicht evaluiert sei. Besonders furchtbar, erklärte Frau Prammer, seien die langen Verfahrensdauern.

Damit hat sie recht. Und warum dauern die Verfahren so lange? Weil es so viele Möglichkeiten gibt, das Verfahren in die Länge zu ziehen, wenn man die richtigen Anwälte, die richtigen NGOs und die richtigen Medien auf seiner Seite hat. Dass genau jene Personen über lange Verfahren klagen, die sich auch am lautesten über Einschränkungen wie ein Neuerungsverbot, über Mitwirkungspflichten oder über eine Verkürzung des Instanzenzuges beschweren, versteht sich fast von selbst. Das sind übrigens auch die Menschen, die unter Applaus als Hassprediger im Namen der Menschenliebe agieren: Würde jemand über einen Asylwerber so sprechen, wie die Herren Chalupka, Patzelt, Landau und Küberl über die Innenministerin sprechen, müsste er mit der vollkommenen Ächtung durch die üblichen Unverdächtigen rechnen.

Offensichtlich gibt es ein wirkliches Problem mit der österreichischen Abschiebepraxis. Da wird aus Unfähigkeit oder aus Bosheit ohne Rücksicht auf Menschen-, insbesondere auf Kinderrechte agiert, und das muss abgestellt werden. Ob die von der Innenministerin angekündigten Maßnahmen ausreichen, wird man sehen.
Den Versuch der NGOs und der Grünen, durch den Druck des furchtbaren Einzelfalls das Gesetz auszuhebeln und/oder den Missbrauch des Asylrechts zum legalen, ungesteuerten Einwanderungskanal zu machen, sollte man aber verhindern. Entscheidend ist die Dauer der Verfahren. Das geht unter Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien nur durch deutlich mehr Personal für den Asyl- und den Verfassungsgerichtshof. An der Bereitschaft, die Mittel dafür zur Verfügung zu stellen, wird man die Ernsthaftigkeit der Regierung in der Frage des Asylrechts messen können.

E-Mails an: michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2010)

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