Der Kampf um die Schule ist ein Kampf um die Lehrer

Vergesst PISA-Test und Neue Mittelschule: Schulpolitik, die wirklich etwas verändern will, sorgt dafür, dass die Richtigen mit der richtigen Ausbildung Lehrer werden.

Der PISA-Test geht um. Präsentiert werden seine Ergebnisse erst am 7.Dezember, aber die Gerüchte über wieder einmal ungeheuerliche Ergebnisse gehören inzwischen zur österreichischen Bildungsfolklore. Die PISA-Katastrophe ist gewissermaßen der Gamsbart auf dem Steirerhut der Neuen Mittelschule.

PISA-Test und Neue Mittelschule: Das sind die beiden Fetische, mit denen Bildungspolitiker und Medien ihre Schulleidenschaft zu steigern versuchen. PISA-Studie und Neue Mittelschule sind zugleich jene Dinge, die am wirklichen Leben in den österreichischen Schulen genau nichts ändern.

Die sogenannte gemeinsame Schule der Sechs- bis 14-Jährigen mag am Ende der Reformstrecke die effizientere Organisationsform sein. Das werden wir aber erst nach ihrer Einführung wissen. Das, was jetzt als Schulversuch „Neue Mittelschule“ läuft, ist systematisch relativ sinnfrei: Die Schulen, die sich beteiligen, haben es gut, weil sie überausgestattet sind, manche Landeshauptleute verdienen sich damit eine goldene Nase. Aber der Versuch liefert kein brauchbares Material zur Beantwortung der Frage, ob das differenzierte oder das Gesamtschul-Modell mehr leistet. Wie soll man das auch herausfinden, wenn man einfach einen zusätzlichen, unrealistisch gut ausgestatteten Schultyp etabliert, statt in einer abgegrenzten Region ein System durch das andere zu ersetzen?

Der PISA-Test ist für die notwendigen österreichischen Schulreformen – für den Moment – noch irrelevanter: Wenn die wirklich dringenden inhaltlichen und organisatorischen Reformen in den Schulen selbst durchgeführt sind und die Systemfrage geklärt ist, wird man sehen, ob sich im Vergleich mit den anderen teilnehmenden Nationen Verbesserungen oder Verschlechterungen ergeben haben. Dass die Reformverweigerung eher zu einer relativen Verschlechterung führt, haben die letzten Untersuchungen gezeigt. Und das ist natürlich relevant. Es ist immer gut zu wissen, wo man im Vergleich zu den Mitbewerbern im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe steht.Der zuletzt in dieser Zeitung mehrmals geäußerte Hinweis darauf, dass der PISA-Test auch deshalb keine besonders guten Ergebnisse bringen könnte, weil sich die betroffenen Schüler nicht besonders anstrengen würden – der eigene schulische Erfolg wird davon ja nicht berührt –, ist interessant, greift aber wohl zu kurz: Es gibt keinen vernünftigen Grund für die Annahme, dass finnische Schüler einen Test, der die eigene schulische Leistungsbewertung nicht beeinflusst, ernster nehmen als österreichische. Und selbst wenn doch, könnte man das als Offenlegung einer Schwäche des österreichischen Schulwesens interpretieren: Die Motivationsfähigkeit, eine pädagogische Kernkompetenz, wäre dann bei unseren Lehrenden weniger gut ausgeprägt als bei den finnischen. Südkorea, das Niederösterreich des Fernen Ostens, ist da anders: Drill hilft auch.

Wie immer sie also tatsächlich ausgefallen ist, die PISA-Studie, eines ist sie auf jeden Fall: eine Erinnerung, dass bisher jede Schulreformdebatte einem Eintrag ins Handbuch der konsequenzenlosen Analysen gleichgekommen ist.

Damit sich das ändert, empfiehlt es sich, nicht mit historisch-ideologischen Reizbegriffen Parteipolitik zu machen, sondern einen Blick auf die zu werfen, ohne die das Schulsystem, wie immer es auch aussehen mag, nicht funktionieren kann: die Lehrer. Kaum ein anderer Beruf kennt eine so große Spannweite zwischen Minderleistern und Selbstausbeutern. Schulpolitik, die wirklich etwas verändern will, sorgt dafür, dass die Richtigen Lehrer werden, dass ihre Ausbildung nach einheitlichen Standards erfolgt, und dass sie in jenen Schulen unterrichten, deren Direktoren sie gern in ihrem Team hätten.


Jeder einzelne Lehrer, der nicht im Burn-out oder in der inneren Freizeitemigration endet, hat für die Qualität unseres Schulsystems mehr Bedeutung als jedes noch so geniale soziologische Argument für welches Organisationsprinzip auch immer.

Wenn der Kampf um die Lehrer gewonnen ist, kann man sich immer noch Organisationsfragen widmen. Keine Sorge: Die Idee einer Verländerung des Schulwesens ist dann noch immer so dumm wie heute. Seiten 1–4

E-Mails an: michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2010)

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