Europa wird die Geldgeister, die es rief, nicht mehr los

Was vor einem Jahr als spektakuläre Rettungsaktion für Griechenland begonnen hat, entpuppt sich immer mehr als die eigentliche Bedrohung Europas und des Euro.

Die öffentliche Debatte über Griechenland und die Euro-Krise erinnert derzeit stark an Fußball. So wie das österreichische Nationalteam über acht Millionen versierte Fußballtrainer verfügt, können Griechenland und der Euro derzeit mit der Expertise von ungefähr ebenso vielen österreichischen Wirtschafts- und Währungsspezialisten rechnen. „Schluss mit den Finanzspritzen, wir brauchen unser Geld selber“, sagen die einen. Die anderen warnen davor, dass Umschuldungsprogramme („Haircut“) oder sogar ein Totalausfall griechischer Staatsanleihen („Default“) eine Kettenreaktion auslösen könnte, die erneut das Risiko einer „Kernschmelze“ des internationalen Finanzsystems berge. Und die Spitzenrepräsentanten der Europäischen Union beschränken sich weiterhin darauf, die Dinge schönzureden: Griechenland werde es schon schaffen, sagen sie, und die Griechen könnten weiter auf europäische Solidarität hoffen.

Das Verhalten des Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso und des Eurogruppen-Chefs Jean-Claude Juncker ist aus heutiger Sicht plausibel: Die EU-Finanzminister haben vor etwas mehr als einem Jahr mit ihrem über Nacht gefassten Beschluss des 110-Milliarden-Schutzschirms die Dynamik ausgelöst, die sie von Monat zu Monat, von Woche zu Woche weniger beherrschen können. Jetzt bleibt ihnen wohl wirklich nicht viel mehr, als zu hoffen und zu beten. Damals lautete ihr Hauptargument, dass es zu dem Schutzschirm keine Alternative gebe, weil sonst der Euro in akuter Gefahr sei. Heute deutet alles darauf hin, dass die damals beschlossenen Maßnahmen den Euro stärker beschädigt haben, als es eine rasche Umschuldung Griechenlands vor einem Jahr je hätte tun können.

Die Europäer haben damals auf Zeitgewinn gesetzt, und sie tun es noch heute. Dabei sprechen alle Daten dafür, dass ein „Haircut“ bei griechischen Staatsanleihen unvermeidlich ist. Vor allem die Zinsentwicklung dieser Anleihen belegt das: Die Umschuldung ist seit Langem eingepreist, und da die Europäische Union ein Pleiteszenario definitiv ausgeschlossen hat, ist die Griechenland-Hilfe zu einer großzügigen Einladung an jene „Spekulanten“ geraten, vor denen man den Euro angeblich schützen wollte. Der Zeitgewinn, auf den die Europäer setzen, hat einen hohen Preis.

Zu rechtfertigen wäre dieser Preis, wenn man die gewonnene Zeit dafür hätte nutzen können, innerhalb eines Jahres all das nachzuholen, was man auf dem langen Weg zur gemeinsamen Währung versäumt hat: wirksame Methoden, die Euro-Mitgliedsländer zu Stabilitätsprogrammen zu zwingen, realistische Szenarien für geordnete Staatsbankrotte, revidierte Modelle des staatlichen Risikomanagements, die unverzügliche Wiederherstellung der EZB als von der Politik unabhängige Hüterin der Währungsstabilität.

In jener Nacht auf den 10.Mai 2010 hat man zwei der ehernen Grundprinzipien der Währungsunion – die „No-Bailout“-Klausel und die Unabhängigkeit der EZB – handstreichartig entsorgt, ohne sich über die Folgen im Klaren zu sein. Über Nacht garantierten die stabilitätsorientierten Länder für die halsbrecherische Politik der Schuldenstaaten, und die EZB wurde gezwungen, deren Schrottanleihen in großem Ausmaß zu kaufen. Einer der Gründe dafür, dass niemand sagen kann, wie es weitergehen wird und soll, ist, dass niemand weiß, welche Zerstörungskraft die Bombe hat, die in den Büchern der EZB und der nationalen Notenbanken in Form von Junk-Bonds tickt.


Argumentiert wird die Ablehnung einer Umschuldung damit, dass es wenig Unterschied mache, ob Deutschland und Frankreich für Griechenland zahlen oder eben für die Rettung ihrer Banken, die durch eine Griechenland-Umschuldung ins Trudeln kämen. Die Rechnung geht allerdings nur auf, wenn es Griechenland mit den jetzt fließenden Geldern schafft, wieder kreditwürdig zu werden.

Vielleicht glauben das die europäischen Partner wirklich – dann sind sie naiv. Oder sie handeln aus kurzfristigen Motiven wider besseres Wissen – dann sind sie grob fahrlässig.

Beides ist für die Bürger nicht sonderlich ermutigend.

E-Mails an: michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2011)

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