Der Filz-Korruptionist fürchtet nur einen. Den Wettbewerb.

Man soll das, was in den Schüssel-Jahren passiert ist, nicht verharmlosen. Aber auch nicht übertreiben. Es war die Fortsetzung des Proporzes mit anderen Mitteln.

Der Telekom-Austria-Skandal sitzt Österreichs Spitzenmanagern und -politikern ziemlich in den Knochen. Kaum ein Gespräch beim Europäischen Forum in Alpbach, bei dem nicht einer von ihnen unter Stöhnen die verheerenden Auswirkungen auf den ohnehin nicht gerade glanzvollen Ruf beider Berufsgruppen beklagt hätte. Als Manager eines österreichischen Großunternehmens sei man inzwischen in der öffentlichen Wahrnehmung ein überführter Korruptionist. Ähnliches gelte für Politiker.

Je nun, was ist da passiert? Platzt nun tatsächlich die große moralische Eiterbeule, als welche die schwarz-blaue Regierung von den Wohlmeinenden immer gesehen wurde? Zeigt sich jetzt spät, aber hässlich, das „wahre Gesicht“ des „Systems“ Schüssel? Ja und nein. Ja, während der Zeit der FPÖ/BZÖ-ÖVP-Koalition sind offensichtlich einige besonders dreiste Fälle von Grenzgängertum zwischen schlechtem Benehmen und Kriminalität passiert. Nein, das war nichts Neues. Das System, das man hierzulande „Sozialpartnerschaft“ nennt, bildet seit jeher das institutionelle Gerüst für die milde, die österreichische Form der Korruption, die da heißt: Mir wern kan Richter brauch'n. Vor allem keinen Wettbewerbsrichter.

Man soll das, was in den Jahren der Schüssel-Regierung passiert ist, nicht verharmlosen, vor allem deshalb nicht, weil Schüssel selbst sich immer als derjenige präsentiert hat, der Schluss macht mit den alten Mauscheleien. Entweder hat er nicht gewusst, was seine Partner da so treiben – dann war er nicht so groß, wie viele glauben (die von ihm selbst vermutete Größe konnte er ohnehin schwer erreichen). Oder er hat akzeptiert, dass sich seine blauen Buben um ihre persönlichen Finanzen kümmern, damit er inzwischen in Ruhe regieren kann. Dann trägt er einen Teil der Verantwortung für das, was geschehen ist.

Man soll das, was passiert ist, aber auch nicht übertreiben. Denn es ist nur die Fortsetzung des Proporzes mit den anderen, nämlich beschränkteren Mitteln. Die Gefräßigkeit der Neuankömmlinge im Selbstbedienungsladen Republik war besonders groß, weil sie wussten, dass dieser für sie nur eine beschränkte Öffnungszeit haben würde, während Rote und Schwarze, ob sie nun an der Regierung sind oder nicht, über den Lieferanteneingang immer Zutritt haben.

Damit können dann Arbeiterkammerfunktionäre Vorstände bei börsenotierten Unternehmen wie dem Flughafen Wien werden, und wenn sie ein paar hundert Millionen Euro Schaden angerichtet haben, kriegen sie einen Konsulentenvertrag. Alles ziemlich unspektakulär und seit Jahrzehnten geübt, drum taugt es nicht zum großen Einmalskandal. Dafür ist es in den schwarzen Bundesländern üblich, dass gescheiterte oder amtsmüde Politiker im Vorstand des Landesenergieversorgers oder einer Wohnbaugesellschaft landen, um von dort aus auf Geheiß der politischen Eigentümer als „Sponsoren“ Projekte zu finanzieren, die mit dem Geschäft ihres Unternehmens nichts zu tun haben.


Das alles findet seit jeher in geordneten Bahnen statt, gesittet, ohne großes Protzgehabe, gewissermaßen als Selbstverständlichkeit. Der österreichische Filz-Korruptionist ist eine Art Gentleman-Gauner, er isst mit Messer und Gabel und vergisst nicht, schöne Grüße an die Gattin zu bestellen. Den ehemaligen Outlaws, die im Jahr 2000 den Schlüssel zum Selbstbedienungsladen Österreich ausgehändigt bekamen, fehlten Gelassenheit und Stil. Die gediegene Bedienung eines moralisch fragwürdigen Systems erfordert durchaus Bildung und Intelligenz.

Parteipolitisch wird der Telekom-Skandal nicht wirklich viel hergeben. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch sozialdemokratische Parteigänger und Sympathisanten auf der Bildfläche erscheinen. Man wird wieder die Frage stellen, wie es der SPÖ gelungen ist, einige hundert Millionen Schilling Schulden durch die Kündigung einer größeren Anzahl von Sekretärinnen abzubauen.

Was bleiben wird, ist der Eindruck, dass „die da oben“ ohnehin alle korrupt sind. Leider ist der Befund korrekt. Nicht, weil es so viele Spieler im System gibt, die auf individueller Ebene korrupt wären. Sondern weil das System korrupt ist und macht: Es dient dazu, Wettbewerb zu verhindern.

E-Mails an: michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2011)

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