Die Debatte über die Erderwärmung hat sich abgekühlt, die akademischen Wurzelseppen sind ruhiger geworden, die Welt geht vielleicht doch nicht unter.
Die vergangenen beiden Jahre scheinen auf den ersten Blick eine alte Hypothese zu bestätigen: Umweltfragen sind Luxusfragen.
Solange Wachstum und Konsumfreude herrschen, finden die ökologischen Kassandren Gehör. Das schlechte Ökogewissen verkauft sich gut als hübsches Accessoire der intellektuellen Mode. In Zeiten der Krise hingegen, wenn die Einschränkung vom aparten Gegenmodell zum hässlichen Alltag wird, sinkt offensichtlich auch die Rentabilität des schlechten Gewissens.
Wer den Nerv hätte, sich dieser Tage hinzustellen und seine Genugtuung darüber zum Ausdruck zu bringen, dass jetzt endlich Schluss mit dem jahrzehntelangen „Wachstumswahn“ ist, der zum Ersticken des Planeten führe, könnte über einen Mangel an Aufmerksamkeit gewiss nicht klagen. Wie kommt es also, dass nach dem großen Konferenz-Hype von Kopenhagen die Untergangsgesänge, die in den akademischen Kathedralen der Apokalyptiker nach wie vor gewissenhaft geprobt werden, kaum noch öffentlich zur Aufführung gelangen?
Nun, zunächst einmal scheinen, erstens, die Vorstände der Klimaindustrie, bei aller Neigung zu Prinzip und Dogma, einen gesunden Sinn für den Pragmatismus zu haben. In Zeiten, in denen die Sparpakete ungefähr so groß sind wie die Wachstumssehnsüchte, kommt es nicht sonderlich gut, Einschränkungen in Konsum und Lebensstil zur Überlebensfrage zu erklären.
Zweitens hat sich in der medialen Darstellung des Themas „Klimapolitik“ ein gewisser Realismus durchgesetzt. Seit klar geworden ist, dass die Grundlagen der Prognosen über durchschnittliche Temperaturanstiege mangels Referenzgröße hart an der Grenze zur wissenschaftlichen Willkür liegen, sind auch die moralischen Randsteinschwalben des Ökoboulevards etwas vorsichtiger geworden. Versinkende Inselwelten, verbrannte Strände und ausgedörrte Almen lassen sich nicht mehr so schön herbeifantasieren, seit auch das „Krone“-Publikum den Verdacht haben muss, dass die Apokalypse nicht ganz so sicher ist wie der tägliche Brief von Herrn Jeannée.
Drittens haben die Politiker inzwischen andere Sorgen. Während der Boomjahre hatte die internationale Klimapolitik vor allem den Zweck, unterqualifizierten Politikern die Ablenkung von der Tatsache zu ermöglichen, dass sie ihr Handwerk nicht verstehen. Sie konnten so tun, als wären die Defizite, die sie während der Hochkonjunktur erwirtschaftet hatten, nicht das Ergebnis ihrer Unfähigkeit, sondern ein Zeichen ihrer besonderen ökologischen Weitsicht. Inzwischen wurden sie von der Wirklichkeit eingeholt.
Viertens hat sich gezeigt, dass die permanente Androhung der Apokalypse sich irgendwann erschöpft. Die Ressource Angst-Lust, auf der die Klimawandelindustrie basiert, scheint ebenso endlich zu sein wie die fossilen Energieträger. Wer jedes Jahr hört, dass es noch genau ein Jahr lang die Möglichkeit zur radikalen Umkehr gibt, ehe die totale Katastrophe mit der Perspektive eines Weltuntergangs unausweichlich ihren Lauf nimmt, verliert irgendwann die Lust an der Angst.
Durch die Krise wird der rationale Anteil am Klima-Diskurs gestärkt. Energie-Effizienz, sparsamer Umgang mit Ressourcen überhaupt, technologische Innovation: Die Rezepte gegen die Krise gleichen den Rezepten gegen die negativen Folgen menschlichen Einflusses auf die klimatischen Bedingungen. Das gibt zwar emotional weniger her als das Raunen der akademischen Wurzelseppen von Sünden wider die Urmutter Gaia und die sektiererische Interpretation von zyklischen Wetterphänomenen als Rache der Natur. Aber es wird, im Unterschied zu den selbstgefälligen Moralpredigten sogenannter Wissenschaftler, konkrete, messbare Auswirkungen haben.
Einem zweiten Blick hält die Hypothese vom Umweltschutz als Luxusphänomen nicht stand. Zwar gerät ökologisches Denken in Zeiten der Krise aus dem Fokus der Medien – die sind derzeit mit Untergängen gut versorgt. In der Sache aber kann der Ökologie nichts Besseres passieren als eine Krise: Sie offenbart, dass zwischen Ökologie und Ökonomie kein Unterschied besteht.
E-Mails an: michael.fleischhacker@diepresse.com
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2011)