Was können eigentlich die Zinsen dafür?

Die europäischen Institutionen nehmen bei der Rettung der verschuldeten Staaten volles Risiko. Geht der Plan schief, haften dafür nicht sie. Sondern die Bürger.

Vor seiner Kür zum mächtigsten Banker Europas wurde noch eifrig am Image Mario Draghis gefeilt. Ja, er sei zwar Italiener, aber geldpolitisch gesehen sei er ein überzeugter „Deutscher“. Also ein Mann der monetären Stabilität, der es nicht zulassen werde, dass die Europäische Zentralbank (EZB) von der Politik klammer Mitgliedsländer gekapert werde. Schon kurz nach seinem Amtsantritt im November 2011 war klar, dass der Banker aus Rom dem Druck nicht gewachsen ist. Draghi setzte fort, was sein französischer Vorgänger begonnen hatte: Im Namen der EZB werden munter Staatsanleihen jener Euroländer aufgekauft, die vor dem finanziellen Zusammenbruch stehen.

Erklärt wird das damit, dass besondere Zeiten eben besondere Maßnahmen erfordern. So verspeise der Zinsendienst in vielen Ländern bereits so große Teile der Steuereinnahmen, dass den Regierungen jeglicher Spielraum fehle, Konjunkturpolitik zu betreiben und so der Krise entgegenzuwirken. Wodurch sich eine Art Teufelskreis in Gang setze: Die Wirtschaftsleistung bricht ein, damit geht die Steuerleistung drastisch zurück, womit sich die Haushaltslage weiter verschlechtert. Das wiederum verteure die Staatsschulden, womit die Staaten erst recht an den Rand der Zahlungsunfähigkeit gedrängt werden.

Womit suggeriert wird, dass es letzten Endes ruchlose Geldgeber sind, die tapfer gegen den ökonomischen Abstieg kämpfende Regierungen an den Rand der Verzweiflung treiben – und letztlich ganze Völker in die Armut. Deshalb müsse die EZB den Ländern eben über den Ankauf von Staatsanleihen (=Staatsschulden) unter die Arme greifen.

Wer nun meinen sollte, dass dieser Vorgang eine ziemlich dreiste Umgehung des Verbots der Staatsfinanzierung per Notenpresse sei, hat zwar völlig recht, gesellt sich mit dieser Einschätzung aber in die Reihen der unbelehrbaren Dogmatiker. Undogmatische Pragmatiker verweisen nämlich darauf, dass die verschuldeten Staaten zwar schon ein paar Reformen umsetzen müssten, um wieder wettbewerbsfähig zu werden und damit nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu ermöglichen. Und ja, da und dort müsse auch „gespart“ werden. Aber Voraussetzung von alledem sei, dass endlich die Zinslast sinke.

Ignoriert wird, dass die Zinsen automatisch sinken würden, wenn die Schuldner ihren Geldgebern glaubwürdig vermitteln können, tatsächlich an einer langfristigen Reduktion der hohen Verbindlichkeiten interessiert zu sein. Genau das ist aber seit Jahren nicht der Fall. Stattdessen schreien Politiker wie François Hollande und Mario Monti bei jeder Gelegenheit lauthals nach der EZB, die sich nicht so gebärden und endlich den Zaster rausrücken soll, den die Staaten dringend benötigen. Dann wären auch die drängendsten Probleme mit einem Mal gelöst.

Vor allem natürlich jenes, dass die Investoren dem politischen Personal der Eurostaaten nicht mehr ohne Weiteres Geld in die Hand drücken wollen, damit sie die öffentlichen Ausgaben wie gewohnt in die Höhe schrauben können, um mit öffentlichem Geld ganz legal Wählerstimmen zu kaufen und den Einflussbereich des alles regulierenden Staates weiter auszudehnen. Deshalb werden die lästigen Geldgeber kurzerhand durch die Notenpresse ersetzt.


Das Dilemma dieser Art der „Krisenbekämpfung“ liegt freilich darin, dass sie nicht besonders nachhaltig oder gar ungefährlich ist. Weder verschwinden damit die Staatsschulden, noch werden rückständige Euroländer über die Notenpresse wettbewerbsfähiger. Stattdessen werden die Rechnungen für den Ausgabenrausch wahlkämpfender Politiker einfach der Zentralbank zugestellt.

Der bessere Weg wäre freilich, mit der Sanierung der Staatshaushalte langsam, aber überzeugend zu beginnen und die Zinsen damit auf konventionelle Art und Weise zu drücken. Statt mit der rasanten Ausweitung der Geldmenge die Verbraucherpreise weiter anzutreiben und damit vor allem die Bezieher niedriger Einkommen zu treffen. Schuldenkrisen lassen sich leider nur über den Abbau der Verbindlichkeiten lösen. Das sollte niemand besser wissen als Mario Draghi. Dessen Heimat zeigt ja höchst eindrucksvoll, dass mit neuen Schulden alles nur noch schlimmer wird.

E-Mails an: franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2012)

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