Österreich: Ein Europameister in akuter Abstiegsgefahr

Europaweit beneidet man uns um Wohlstand und sozialen Frieden. Umso erstaunlicher ist der Mutwille, mit dem die Politik das Kapital dieses Landes verspielt.

Ein paar Fragen zur Güte: In welchem europäischen Land hat man derzeit die besten Chancen, einen Arbeitsplatz zu finden? Wo ist die Jugendarbeitslosigkeit am niedrigsten – und wo verbessert sich die Lage für langzeitarbeitslose junge Menschen am stärksten? Und wer bekämpft am besten die Kinderarmut?

Österreich, lautet die Antwort. Ein Blick in die jüngsten Statistiken der Europäischen Kommission berechtigt zur Feststellung, dass wir in Sachen Arbeitsmarkt, Wohlstand und sozialer Zusammenhalt Europameister sind. Während die Griechen und Spanier dabei zuschauen müssen, wie ihr auf Kredit gekaufter trügerischer Wohlstand in der Schuldenkrise zerbröselt, herrscht in Österreich Rekordbeschäftigung, suchen Unternehmen händeringend nach Arbeitnehmern. In Lettland, das wegen seiner radikalen Wirtschaftsreformen international oft gelobt wird, besitzen laut EU-Sozialstatistik vom heurigen Juni neun Prozent der Menschen noch immer keine zwei Paar ordentlich passender Schuhe. So etwas kennen in Österreich nur noch Menschen, die den Zweiten Weltkrieg und die Entbehrungen der Jahre danach erlebt haben.

Österreich geht es also sehr gut. Unsere Politiker wissen das. Und sie sind ziemlich stolz darauf. Kaum ein EU-Gipfeltreffen vergeht ohne eine Runde Selbstlobs des Bundeskanzlers. Hätte Werner Faymann die berühmte dritte Hand, müsste man sich Sorgen machen, dass er sich selbst vor lauter Schulterklopfen das Schlüsselbein bricht.

Bloß ist die von ihm geführte Regierung drauf und dran, das Kapital dieses Landes zu verspielen. Was muss heute passieren, damit die Österreicher auch in zehn Jahren noch die niedrigste Arbeitslosenrate und die höchste Aussicht auf neue Stellen haben? Weder Rot noch Schwarz hat darauf eine überzeugende Antwort. Stattdessen legen Sozialdemokraten und Volkspartei die zerkratzten alten Schallplatten mit jenen Bierzeltschlagern auf, die ihre jeweilige Klientel so glückselig schunkeln lassen. Und so beschränken sich die ordnungspolitischen Vorstellungen der SPÖ darauf, „die Reichen“ anzugreifen, während die ÖVP in erster Linie „für alle Bünde und alle Landesparteien“ steht (so sprach Obmann Michael Spindelegger auf dem Parteitag im Mai 2011).

Tatsächlich drängt es, einige bequeme Selbsttäuschungen auszuräumen. Denn man darf sich nichts vormachen: Österreich geht es so gut, weil wir im Norden und Süden an zwei der reichsten Volkswirtschaften der Welt grenzen, mit denen wir intensiv Handel treiben, nämlich Süddeutschland und Norditalien. Zudem hat sich uns mit dem Fall des Eisernen Vorhangs ein weites Feld frischer Märkte geöffnet. 57Prozent unserer Wirtschaftsleistung werden im Austausch mit dem Ausland erzielt. Weltoffenheit, Fremdsprachenkenntnis, Wettbewerbsgeist sind für die kleine offene Wirtschaftsnation Österreich entscheidend. Sie müssen die Politik bestimmen, nicht das Anfeuern von Neiddebatten oder die Rücksichtnahme auf die eigene Klientel. Es muss das Ziel sein, dass sich unsere Hochschulen mit den besten der Welt messen können. Jeder Schüler sollte das Recht haben, ein Praktikum im Ausland zu machen – egal, ob er Gymnasiast aus bildungsbürgerlichem Haus oder Berufsschüler mit türkischen Wurzeln ist. Und wenn die EU-Förderprogramme dafür nicht reichen, muss die Bundesregierung eben Europa-Stipendien auflegen.

Wir müssen das Gründen von Firmen fördern, statt Unternehmer pauschal als egoistische Geldsäcke zu verunglimpfen, wie es die Arbeiterkammer seit einigen Wochen mit einem besonders dümmlichen YouTube-Filmchen macht. Und wir müssen endlich eine ehrliche, partnerschaftliche Haltung gegenüber unseren Nachbarn in Mittel- und Osteuropa finden. Dort sind wir Österreicher nämlich nicht so beliebt, wie wir es uns in völlig deplatzierter Habsburger-Nostalgie selbst gern einreden.

Ein mutiges, offenes, leistungsfreudiges Österreich wird auch in zehn Jahren in Europa die Nase vorn haben. Die gegenwärtige Realitätsverweigerung von Rot-Schwarz hingegen wird uns recht bald einen Abstiegskampf bescheren.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2012)

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