Der Nahost-Konflikt, Israel und Österreichs Verantwortung

In New York hätte etwas mehr Neutralität gutgetan, hinter der sich Österreichs Politiker üblicherweise verstecken. Ein Palästinenserstaat ist weiter nicht in Sicht.

Ein wichtiger Spieler im internationalen Konzert würde die Europäische Union gern sein. Zu diesem Zweck erfanden die Europäer die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – und den Posten von Lady Ashton, die die gemeinsamen Anstrengungen bündeln soll. Wenn es darauf ankommt, bleibt davon aber meist nicht sehr viel übrig. Das haben die EU-Staaten erst jetzt wieder mit schmerzhafter Deutlichkeit bewiesen. Ob ein – noch gar nicht existierender – Staat der Palästinenser bei der UNO den Status eines, wie es heißt, Nichtmitglieds, erhalten soll, ist eine Frage, die bei einer gemeinsamen EU-Außenpolitik gemeinsam beantwortet werden müsste. Wurde sie aber nicht: Die einen waren dafür, die anderen dagegen, die Dritten enthielten sich. Wer mit solchen Dissonanzen aufwartet, wird im internationalen Konzert nie als bedeutender Spieler ernst genommen werden.

Österreich hat schon Tage vor der Abstimmung in der UN-Vollversammlung klargestellt, den palästinensischen Antrag zu unterstützen: eine klare Ansage für ein Land, das sich in außenpolitischen Fragen sonst oft zurückhaltend hinter seiner angeblichen Neutralität versteckt. Österreichs Vorpreschen mag die späte Fortführung der Nahost-Politik Bruno Kreiskys sein. Dem Verhältnis zu Israel, das in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder angespannt war, ist das aber nicht gerade dienlich.

Österreich ist zwar nicht direkt Partei im Nahost-Konflikt. Es ist aber sehr wohl indirekt betroffen – auf einer zweiten, einer historischen und moralischen Ebene. Die Gründung Israels ist eine Folge des Massenmordes an den Juden im Zweiten Weltkrieg. Ein eigener Staat für die Juden entstand als sicherer Hafen, der von da an Schutz vor Verfolgung bieten sollte. Nicht wenige ältere Bürger des heutigen Israel sind Menschen, die aus Österreich vertrieben wurden oder nur knapp die NS-Tötungsmaschinerie überlebten, in der auch viele Österreicher aktiv waren. Und einige arabische und iranische Politiker würden, wenn sie könnten, diese ehemaligen Österreicher auch aus der neuen Heimat Israel vertreiben.

Auch wenn es so etwas wie Kollektivschuld nicht geben darf: Im Sinn einer kollektiven, staatlichen Verantwortung sollten Österreichs Regierende diesen Umstand immer im Hinterkopf behalten. Das Anliegen der Palästinenser einfach abzuschmettern wäre aber ebenfalls keine Lösung gewesen. Vielleicht hätte just in dieser Causa etwas mehr von der, sonst immer viel beschworenen Neutralität gutgetan: Auch andere Staaten wollten sich enthalten.

Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas sieht im Gang zur UNO ein Rettungsseil, an dem er sich auch aus seiner persönlichen politischen Misere zu ziehen versucht. Abbas kämpft an zwei Fronten: gegen eine sture israelische Regierung und gegen die islamistische Hamas, die ihm die Führungsrolle bei den Palästinensern streitig macht. Mit den Raketenangriffen auf Israel und der jüngsten Schlacht gegen Israels Streitkräfte rückte die Hamas in die Poleposition. Jetzt drängt Abbas über den Umweg New York wieder in die erste Reihe.

Der Sieg in der UN-Vollversammlung ist dabei für ihn vor allem ein symbolischer. An den Machtverhältnissen im Nahen Osten ändert er nichts, denn ohne die Zustimmung der dominierenden Kraft Israel ist ein funktionierender Palästinenserstaat auch weiterhin Zukunftsmusik. An Verhandlungen zwischen den beiden Streitparteien führt deshalb kein Weg vorbei.
Israels Regierung hat bereits gedroht, der Gang der Palästinenser zur UNO werde eine künftige Lösung nur noch weiter erschweren. Sie bezichtigt Abbas des Bruchs bisheriger Vereinbarungen. Das hat etwas für sich. Was die israelische Führung dabei aber verschweigt: Mit dem steten Ausbau der Siedlungen verstößt sie selbst gegen die Abkommen. Eine baldige Lösung des Konflikts wäre auch im Sinne Israels. Denn die Zeit arbeitet gegen Israel: Nach dem Umbruch in Ägypten etwa wurde deutlich, wie weit sich die Menschen in den arabischen Nachbarstaaten noch – psychologisch – von einer Versöhnung mit Israel entfernt fühlen. Doch eine Beendigung des Konflikts ist nicht in Sicht. Niemand hat dafür einen brauchbaren Ansatz: nicht die USA und noch weniger die uneinigen Europäer.

E-Mails an: wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2012)

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