Wenn die Grünen SPÖ-Wahlkampf machen

Was Grüne unter Aufbruch und unter Gerechtigkeit verstehen. Der Bundeskongress in Linz gab eine kleine Vorschau auf das kommende Wahljahr.

Die Castingshow, die man Grünen Bundeskongress nennt, ist vorbei. Die Frage bleibt: Was gab es da in Linz eigentlich zu sehen? Abgesehen von Trivia – etwa dass Twitter-Prominenz im Gerangel um einen Bundeslistenplatz wenig zählt (siehe Michel Reimon, den burgenländischen Abgeordneten)?

Nun, vier Sachen fielen auf. Erstens: große Erwartungen – Stichwort 15 Prozent – und wenig (Selbst-)Kritik. Die Grünen, vulgo das Team der Unbestechlichen, findet sich derzeit hörbar gut. Eva Glawischnig durfte sich über breite Zustimmung freuen und darüber, dass ihr kaum lästige Fragen gestellt wurden. Die Grünen seien aber „nichts Besseres“, stellte Glawischnig klar. Dass man das klarstellt, sagt jedoch einiges.

Zweitens: Ab und zu haben die Medien recht. Etwa, wenn sie die ewig gleichen Gesichter bei den Grünen kritisieren. Die Delegierten beginnen nämlich, das genauso zu sehen. Sonst hätten sie den unbekannten 23-jährigen, aber rhetorisch fitten Bezirksrat Julian Schmid nicht als grünen Sebastian Kurz/Nikolaus Kowall in spe auf Platz acht gehievt. Eine weitere neue Junge ist mit Ex-ÖH-Chefin Sigrid Maurer dabei. Das reicht, damit die Grünen von „Aufbruch“ reden. Dass beide in Wien tätig sind, passt gut ins Konzept, das haben sie mit den meisten auf der Bundesliste gemeinsam.

Drittens: In Linz sah man, dass auch alte Haudegen sensibel sind. Nicht dass man Peter Pilz nicht glaubt, dass er wegen Arbeitsüberlastung nicht für den Vorstand kandidiert. Aber sein bescheidenes Abschneiden bei der Stichwahl um Platz vier (ursprünglich hätte Pilz gern auf Platz zwei kandidiert) wird ihn bestärkt haben. Vor allem, da der andere Antikorruptionsstar, Gabriela Moser, mehr Stimmen als Glawischnig bekam.

Viertens: Auch wenn das Programmatische in Linz nicht im Vordergrund stand, verdichtete sich, was man ahnte: Die Grünen werden einen SPÖ-Wahlkampf führen – immer wieder wurde Solidarität zum „Kernwert“ und die Grünen zur „Gerechtigkeitspartei“ erklärt. Dahinter steckt strategische Überlegung. Allein mit Antikorruption, also dem Fehlen einer Negativeigenschaft, wird man – so auffallend das in diesem Land ist – keine Wahl gewinnen. Viele grüne Sachthemen aber bleiben abstrakt (Umwelt) oder erzeugen wenig Sympathie – wie das Parkpickerl oder die „Ernährungswende“: Kann ja sein, dass chinesische Erdbeeren im Herbst keine gute Idee sind, aber will man sich seine Essgewohnheiten von einer Partei vorschreiben lassen? Auch den versprochenen „Systemwechsel“ werden die Grünen in einer Dreierkoalition nicht einlösen. Das schafft man nicht einmal zu zweit in Wien.

Bleibt also die soziale Karte, die auch gegen die Piraten sticht. Grüne Strategen sagen inzwischen offen, dass man mit hehren Idealen allein keine neuen Wähler gewinnt – das sei etwas für Stammwähler. Die Neuen, die man im Fokus hat, sind jünger, bescheidener situiert und interessieren sich weniger für die Umwelt als als für den eigenen Vorteil. Wie günstige Mieten. Insofern verwundert es nicht, dass der einzige sachpolitische Antrag in Linz jener aus Wien zu den Mieten war. Jetzt gibt es viele Gründe, warum eine Sieben-Euro-pro-Quadratmeter-Obergrenze keine gute Idee ist (unfairer Eingriff ins Eigentum, führt Sanierungen und Vorsorgewohnungen ad absurdum etc.), aber eines muss man Maria Vassilakou lassen: Sie hat – wie schon die KPÖ in Graz – einen Nerv getroffen. Und gezeigt, dass die Grünen Populismus können. Denn um der Wahrheit die Ehre zu geben: Um „Gerechtigkeit“ und Menschen, die sich keine Wohnung leisten können, geht es den Grünen weniger. Eher um die Mittelschicht, die erkennt, dass sich ohne Erbe keine Eigentumswohnung ausgeht und die diese triste Aussicht mit (gemietetem) Parkettboden besser erträgt. Was die Grünen auch wissen: Beim persönlichen Thema Wohnen sind die Menschen politisch flexibel – auch der ÖVP-Wähler sagt „Miethai“.

Die Gefahr für die Grünen ist freilich, dass sie so „alte“ Wähler, die gut verdienenden Städter, vergrätzen. Denen bleibt nur noch die hehre Ideologie. Falls ihnen das nicht reicht, hat Pilz zumindest einen guten Rat für die Parteifreunde: „Am Ende wird alles gut, und wenn nicht, dann war das nicht das Ende.“ Stimmt. Spätestens 2018 gibt es ja wieder eine Wahl.Bundeskongress: S.13

E-Mails an: ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2012)

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