Der gute Onkel Xi und die Rasselbande von Pjöngjang

Für die Erziehungsberechtigten in Peking sind die Eskapaden ihrer nordkoreanischen Mündel nicht nur peinlich – sie gefährden auch die Sicherheitslage in Asien.

Was geht wohl in den Köpfen der kommunistischen Würdenträger Chinas vor, wenn sie ihren Freunden in Nordkorea einen Besuch abstatten? Ist es Mitleid angesichts der materiellen Not in dem rückschrittlichen, brutal heruntergewirtschafteten Land? Nostalgie angesichts der Tatsache, dass – anders als in China – die indoktrinierten proletarischen Massen den paläostalinistischen Parolen ihrer Herren und Gebieter immer noch Glauben schenken? Oder Zufriedenheit mit dem Umstand, dass Nordkorea ein treuer Vasall der Volksrepublik ist, der seit Jahrzehnten mit Erfolg Ressourcen der ideologischen Feinde USA, Japan und Südkorea bindet?

Letzteres wohl immer weniger, denn seit einiger Zeit ist die Umlaufbahn des nordkoreanischen Satelliten nicht mehr klar vorhersehbar, sondern zusehends erratisch. Womit wir bei dem jüngsten Streich der Rasselbande von Pjöngjang angelangt wären: dem erfolgreichen Abschuss einer Trägerrakete, die gestern einen künstlichen Raumkörper in die Erdumlaufbahn befördert hat, sofern die Jubelmeldungen der nordkoreanischen Propagandisten zutreffen. Dem Nachwuchsdiktator Kim Jong-un ist das seltene Kunststück gelungen, so gut wie alle Beobachter zu foppen. Denn noch zu Wochenbeginn hat es geheißen, die startbereite Rakete müsse aus technischen Gründen wieder demontiert werden. Ob Kims chinesische Verbündete von dem Täuschungsmanöver informiert waren, ist nicht klar – am Sonntag hat sich ein Sprecher des Außenamts in Peking „tief besorgt“ über einen möglichen Raketenstart gezeigt.

Man kann getrost davon ausgehen, dass den Erziehungsberechtigten in Peking die Eskapaden ihrer Mündel ein wenig peinlich sind. Vermutlich bleibt dem frisch gebackenen KP-Parteichef Xi Jinping nichts anderes übrig, als in die Rolle des strengen, aber gutherzigen Onkels zu schlüpfen, seinem Schützling Kim einen leichten Klaps zu verpassen und ihn zu ermahnen, in Zukunft doch wieder etwas braver zu sein und die Gebote der internationalen Staatengemeinschaft zu beachten. Ausrichten wird diese Simulation einer Kopfwäsche gar nichts, denn die nordkoreanischen Strolche haben die wohldosierte Provokation zur Staatskunst erhoben. Erpressung ist die einzige Daseinsberechtigung des Arbeiter- und Bauernstaats. Und die Mittel zum Zweck sind abwechselnd Atombomben und ballistische Raketen.

Doch abseits aller emotionalen Befindlichkeiten stehen die chinesischen Strategen vor einem gänzlich anderen Problem: Sie können Nordkorea nicht glaubhaft mit Liebesentzug drohen, denn ohne die Unterstützung Chinas würde das Land implodieren. Was dann käme, liegt auf der Hand: Chaos, dann die Wiedervereinigung der Halbinsel unter der Ägide des US-Verbündeten Südkorea – und in Folge US-Panzer an der koreanisch-chinesischen Grenze.

Also doch lieber weitermachen wie bisher. Das Dumme ist nur, dass auch diese Option die Sicherheitslage in der Region gefährdet. Und zwar, weil Japan schön langsam die Geduld mit Nordkorea (und auch mit China) verliert. Dass der Raketenstart just wenige Tage vor der japanischen Parlamentswahl erfolgt, ist kein Zufall, sondern pure Absicht. Nicht nur in Tokio werden die Rufe nach einer Umschreibung der pazifistischen japanischen Verfassung laut – vor wenigen Tagen sorgte der Außenminister der Philippinen mit seiner Aufforderung, Japan soll aufrüsten, um China die Stirn bieten zu können, für Konsternation in Peking. Ein selbstbewusstes, womöglich nuklear bewaffnetes Japan ist so ziemlich das Letzte, was sich die Volksrepublik wünscht.

Sollte es eines Tages so weit kommen, dann hätte sich das die chinesische Führung selbst zuzuschreiben. Sie hat mit Nordkorea einen Quälgeist herangezüchtet, den sie nicht mehr loswerden kann. Vermutlich ist also weder Mitleid noch Zufriedenheit jenes Gefühl, das chinesische KP-Funktionäre in Nordkorea am häufigsten überkommt, sondern die Hoffnung, dass alles so bleiben möge, wie es jetzt ist – ein kommunistisches Freiluftmuseum, das für Kopfschütteln sorgt, aber keinen asiatischen Rüstungswettlauf provoziert. Doch in Nordkorea ist die Zeit nicht auf Chinas Seite.

E-Mails an: michael.laczynski@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2012)

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