Im Bawag-Prozess gilt die Naivitätsvermutung

Die wichtigste Frage im Bawag-Skandal bleibt ungeklärt: Niemand, absolut niemand will wissen, wo das angeblich verspekulierte Geld geblieben ist.

Nach dem Freispruch für Wolfgang Flöttl und die meisten der übrigen Bawag-Angeklagten ist unter anderem die Frage aufgetaucht, was denn dieses Urteil für internationale Spekulanten bedeute. Ganz klar nur eines: Einem österreichischen Richter kann man alles erzählen, es gilt sozusagen die Naivitätsvermutung.

Hoffen wir zumindest. Denn dass bei einem so wichtigen Prozess bewusst die Frage aller Fragen ausgeklammert wurde, wollen wir ja doch nicht hoffen. Die Frage nämlich, wo das ganze viele Geld geblieben ist. Niemand will das wissen. Die Richterin im ersten Bawag-Prozess nicht, der Richter im jetzt abgeschlossenen zweiten Verfahren nicht, und die Gewerkschaft, die als damalige Bawag-Eigentümerin immerhin ihren angeblichen Streikfonds ganz und ihre Existenz beinahe verloren hat, schon gar nicht. Ziemlich seltsam das Ganze, nicht?

Rekapitulieren wir: Wolfgang Flöttl, erfolgreicher Investor in den USA und Sohn eines Bawag-Generaldirektors, bekommt in den Neunzigerjahren in drei Wellen, zuerst von seinem Vater dann von dessen Nachfolger Helmut Elsner, viel Bawag-Geld zwecks spekulativer Vermehrung. Mit der letzten Tranche wettet Flöttl auf den Yen-Kurs – und baut einen Totalverlust. 1,2 Euromilliarden von der Bawag sind futsch.

So zumindest die offizielle Lesart. Abgesehen davon, dass im echten Leben kein Investor – und schon gar nicht Herr Flöttl, der abseits der Bawag ja durchaus erfolgreich spekuliert hat – so dämlich ist, alle Eier in einen einzigen Optionskorb zu legen, hat dieses Märchen, das uns da erzählt wird, noch andere Höhepunkte. Beispielsweise die Sache mit der kaputten Computerfestplatte, mit deren Crash alle Daten über die Bawag-Transaktionen unwiderruflich verloren gegangen sind. Über eine derartige Rechtfertigung lacht sich die ganze Welt krumm. Das hiesige Gericht offenbar nicht.

Kommen wir jetzt zum wirklichen Leben: Spekulationsgeschäfte, egal, ob Optionen, Swaps, Futures oder sonst was, sind Geschäfte zwischen mindestens zwei Vertragspartnern. Das Geld löst sich dabei nicht auf, sondern wandert vom „Verlierer“ zum „Sieger“. Die Transaktionen sind also nicht auf einer einzigen Computerfestplatte gespeichert, sondern bei beiden Vertragspartnern und wohl auch bei zwischengeschalteten Banken oder Brokern.

Die Spuren, die da hinterlassen werden, findet man durch Kontenöffnungen bzw. durch Erstellung eines sogenannten Forensic Account. Beides – die Öffnung der Flöttl-Konten und die Erstellung eines Forensic Account – ist (von Elsner) beantragt und vom Gericht abgelehnt worden. Warum eigentlich?

Immerhin hätte man damit den Weg des „verlorenen“ Geldes verfolgen können. Das ist nicht uninteressant. Es könnte ja theoretisch – wir abstrahieren jetzt vom Fall Bawag – ein böser Spekulant mit fremdem Geld auch Wetten mit sich selbst (über eine Steuerparadiesfirma) abschließen und damit gewinnbringend auf beiden Seiten des Spieltisches stehen. Ob so etwas im Fall Bawag denkbar wäre, will aber, wie gesagt, niemand so genau wissen. Das Geld ist halt futsch. Blöd gelaufen.

Vielleicht wäre es auch zu mühsam, in der Karibik zu recherchieren. Dazu passt aber die Sache mit dem Bermuda-Fax gar nicht: Die Finanzpolizei des Inselstaats hat die österreichischen Behörden 2006 darauf aufmerksam gemacht, dass Wolfgang Flöttl versuche, 21Millionen Dollar aus den Bermudas abzuziehen. Die Reaktion der österreichischen Behörden: Das Bundeskriminalamt ersuchte per Fax die Staatsanwaltschaft, „diese Information von der Akteneinsicht auszunehmen“.

Sehr seltsam also, was da vorgeht. 1,2Milliarden verschwinden, die Gewerkschaftsbank muss verkauft werden, der ÖGB schrammt knapp an der Insolvenz vorbei. Aber niemanden, absolut niemanden in der Gewerkschaft, in den politischen Parteien, in der weisungsgebundenen Staatsanwaltschaft und im weisungsfreien Gericht scheint zu interessieren, was da wirklich gelaufen ist.

Was vom Bawag-Skandal bleibt, sind also ein paar Verurteilte (für die österreichische Seite des Skandals), viele offene Fragen und ein sehr, sehr schaler Nachgeschmack.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2012)

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