Familien und Behinderte, besetzt die Kirchen!

Für politisch Verfolgte muss in Österreich ordentlich Platz sein. Wer es hingegen mit lupenreiner Erpressung versucht, findet zu Recht kein Verständnis.

Gratulation! PR-technisch betrachtet kann sich so manche Werbeagentur ein Beispiel an den zwei Dutzend Asylwerbern nehmen, die seit Tagen die Votivkirche in Wien in Beschlag genommen haben. (Medial) breitenwirksamer kann – bestimmt nicht zufällig zu Weihnachten – kaum jemand auf sich aufmerksam machen.

Ob die Aktion, die schon Ende November mit einem Camp vor der Votivkirche begonnen hat, in weiterer Folge auch ein so breiter Erfolg wird, darf hingegen bezweifelt werden. Wer gläubige Katholiken mit dem Verteilen von Flugblättern sogar während der Christmette stört, muss verdammt gute Argumente haben, damit er mit seinen Forderungen wie jener nach einer Arbeitserlaubnis für Asylwerber auf Gehör stößt. Selbst Menschen, die solchen Anliegen grundsätzlich aufgeschlossen gegenüberstehen, werden sich fragen, ob der Einsatz der aktionistischen Brechstange in Form von Hungerstreiks das adäquate Mittel ist.


Innenministerin Johanna Mikl-Leitner macht es den Hungerstreikenden im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin Maria Fekter, die selbst bewusst mit der Brechstange Verschärfungen des Asylgesetzes durchgesetzt hat, viel schwerer. Mikl-Leitner hat es immerhin geschafft, die im überfüllten Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen befindlichen Asylwerber auf Quartiere in den Bundesländern aufzuteilen. Damit machte sie schon vor Wochen die durchsichtige Regie einer Handvoll Aktivisten zunichte. Sonst wären nämlich vor einem Monat viel mehr Flüchtlinge aus Traiskirchen protestierend nach Wien marschiert.

Es wird kaum jemand ernsthaft bestreiten, dass zahlreiche Menschen, die in Traiskirchen stranden, gute Begründungen für die Zuerkennung des Status von politisch Verfolgten vorbringen können. Für umso mehr Kopfschütteln sorgt daher nun, dass Asylwerber offizielle Angebote von Caritas, Stadt Wien und Innenministerium über Weihnachten ausgeschlagen haben. Zu dieser Ablehnung wurden sie wohl von ein paar politischen Aktivisten angestachelt, denen es zuallererst um die Destabilisierung der amtierenden, angeblich ach so unbarmherzigen Regierung geht. Ungemütlicher als ein zu dieser Jahreszeit kaltes Gotteshaus in Wien war sicher keine einzige der von Caritas, Stadt Wien und Innenministerium angebotenen Unterkünfte. Der zugige Stall zu Bethlehem war definitiv nicht als Ersatzquartier dabei.

Es gibt in Österreich auch kaum einen unverfänglicheren Zeugen als Wiens Caritas-Direktor Michael Landau, der bereits vor Tagen in der „Presse am Sonntag“ vor einer Instrumentalisierung der Asylwerber von außen gewarnt hat. Seine Worte sind bei den Scheinhelfern der Asylsuchenden einfach verhallt. Sonst wäre es gar nicht möglich, dass die Caritas, nicht unsensible Exekutivbeamte oder eine Ministerin Gnadenlos, am Donnerstag Folgendes berichtete: Die Flüchtlinge in der Votivkirche seien in der Nacht ständig von „rund einem Dutzend Personen“ – und das waren keine Polizisten – mit bewussten Falschinformationen aus dem Schlaf geweckt und verängstigt worden. Das ist Folter durch Schlafentzug – nur, um regierende Politiker, wenn schon nicht zum Einlenken, so doch in Verruf, menschenfeindlich zu sein, zu bringen.

Glaubt jemand, unter solchen Begleitumständen kann der für Arbeit zuständige SPÖ-Sozialminister Hundstorfer ernsthaft über diskutable Vorschläge wie eine Arbeitserlaubnis für Asylwerber reden? Was aber am allerwichtigsten ist: Jene, die vor politischer Repression in ihrer Heimat geflohen sind, werden mit inszenierter politischer Erpressung kein Verständnis bei der Bevölkerung in Österreich finden. Sie müssen froh sein, dass Österreicher, die bei kleineren Gesetzesübertretungen bestraft werden, bisher bei dieser Aktion so viel Langmut gezeigt haben.

Denn wenn die Methode funktioniert, kann, nein, muss man sogar Familien mit geringem Einkommen oder behinderten Menschen raten, sich daran ein Vorbild zu nehmen. Familien- und Jugendvertreter fordern seit Jahren vergeblich eine Erhöhung der Familienbeihilfe und damit eine Verbesserung der Lebenssituation. Behinderten geht es mit dem Pflegegeld ähnlich. Also, auf zur Besetzung des Stephansdoms! S. 1,2

E-Mails an: karl.ettinger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.12.2012)

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