Was leuchtet da am Ende des Tunnels?

In Europa werden neuerdings nicht mehr budgetäre Schlendriane für das zentrale Problem gehalten. Sondern Vorzeigestaaten wie Deutschland. Beängstigend, das.

Irgendwie sieht die Sache ja ganz passabel aus. So gut wie alle namhaften Prognoseinstitute erwarten für das kommende Jahr eine Besserung der Lage, jedenfalls im ökonomischen Sinn. Zwar wird 2013 keinen Boom bringen, aber der von der wohlstandsverwöhnten Gesellschaft befürchtete Absturz ins konjunkturelle Nichts wird ausbleiben, darin sind sich die Prognostiker einig. Sie alle haben ein „Licht am Ende des Tunnels“ ausgemacht, worüber wir uns nur freuen können. Vorausgesetzt, die hellen Strahlen werden tatsächlich von der Sonne abgesetzt – und nicht von den Scheinwerfern der entgegenkommenden Lokomotive.

Wissen werden wir das erst, wenn wir uns der Lichtquelle entscheidend genähert haben. Zum jetzigen Zeitpunkt kann nämlich niemand im Entferntesten sagen, was da am Ende des dunklen Lochs strahlt. Eine Unsicherheit, die natürlich jede Menge Ängste füttert. Aber wovor fürchten wir uns eigentlich? Davor, unseren Lebensstandard ein wenig nach unten schrauben zu müssen? Davor, etwas später in die Frühpension zu gleiten? Oder gar davor, dass der „Gratiskindergarten“ wieder gestrichen und das Pendlerpauschale doch nicht erhöht wird?

Das alles wäre unangenehm, aber bewältigbar. Furchteinflößender sind da schon die weniger bewältigbaren Dinge. Wie die Ansichten des politischen Personals, das den Menschen noch immer vorgaukelt, alles gehe in die „richtige Richtung“. Das so tut, als könnten schwer verschuldete Staatshaushalte mit noch höheren Schulden abgesichert werden, das sinkende Staatsdefizite als gemeingefährliches „Sparen“ etikettiert und das in den noch wettbewerbsfähigen Staaten Europas das Problem, nicht die Lösung sieht.


Erst vergangenen Donnerstag hat Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), den deutschen Finanzminister, Wolfgang Schäuble, vor „Sparexzessen“ gewarnt. Das muss man sich einmal vorstellen: Nicht die budgetären Schlendriane bereiten der IWF-Chefin Sorgen, sondern das wettbewerbsfähigste Land Europas, das im kommenden Jahr doch tatsächlich einen ausgeglichenen Staatshaushalt anpeilt. Und damit nach Ansicht von Madame Lagarde Europa schadet, weil ein höher verschuldetes Deutschland ja für noch mehr Nachfrage sorgen könnte.

Ansichten wie diese sind es, die Angst und Schrecken verbreiten. Und das zu Recht, weil sie nämlich eine leicht zu entschlüsselnde Botschaft mitliefern: Beenden Europas Staaten ihren Schuldenrausch, bricht das öffentliche Pyramidenspiel im Nu zusammen. Nicht die Banken sind das große Übel dieser Tage, sondern die seit Jahrzehnten dominierende „Anything goes“-Mentalität ausgabefreudiger Staatskanzleien. Seit Jahrzehnten leben staatliche Verwaltungen ihren Bürgern vor, dass es völlig falsch sei, Wohlstand zu erarbeiten, wenn dieser doch genauso gut zu leihen und damit schon heute zu konsumieren ist. Bestes Beispiel dafür ist Österreich, das 2013 sein 59-jähriges Jubiläum ununterbrochener Defizite im Bundeshaushalt feiern wird.


Nun ist nicht zu leugnen, dass zu keiner Zeit so viele Menschen auf einem derart hohen Niveau lebten wie heute. Leider ist dieser Wohlstand ein weitgehend virtueller, weil nicht erwirtschafteter. Wie aus einer Studie der Boston Consulting hervorgeht, sind die Kernstaaten der industrialisierten Welt heute viermal so stark verschuldet wie 1980, während die privaten Haushalte sechsmal so viele Schulden haben wie damals. Nicht inkludiert sind die ungedeckten Beträge, die aufgrund der alternden Bevölkerung im staatlichen Gesundheits- und Pensionswesen fällig werden.

Die Europäer könnten natürlich für den hohen Lebensstandard härter und länger arbeiten. Oder das Wohlstandsniveau etwas zurücknehmen. Das Erfreuliche an diesen unerfreulichen Aussichten: Mit beiden Varianten kämen die Menschen zurecht, sie haben schon deutlich steilere Wege gemeistert. Sie können aber auch jenen Politikern folgen, die versprechen, die budgetären Probleme „wegdrucken“ zu können. Letzten Endes werden also die Bürger Europas selbst darüber entscheiden, ob sie am Ende des Tunnels in die Sonne blicken. Oder in die Augen des Lokführers von gegenüber. Womit die Hoffnung lebt, dass das Wahljahr 2013 ja doch noch ein erfreuliches wird.

E-Mails an: franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2012)

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