Artenschutz für drei Prozent: Es braucht trotz allem Liberale

Die FDP hat vieles falsch gemacht. Dass dem politischen Liberalismus das Aus droht, quittieren die meisten Deutschen mit Achselzucken oder Häme. Zu Unrecht.

Die Totenglocken haben schon öfters geläutet, aber selten so laut. Es ist kein Fehlalarm: Mit dem Liberalismus in der Politik könnte es auch in Deutschland bald vorbei sein. In Österreich erzählen ja nur noch Geschichtsbücher vom Trojanischen Pferd der Rechtspopulisten, die ihn im eigenen Lager meuchelten. Beim großen Nachbarn braucht es keinen Putsch. Die Wähler selbst tragen die Lobby des selbstbestimmten Bürgers zu Grabe.

Die FDP dümpelt in Umfragen seit geraumer Zeit bei drei bis vier Prozent. Wenn es bis zum Herbst dabei bleibt, fliegt die stolze, traditionsreiche Partei aus dem Bundestag. Die Analyse ist rasch parat: Personal und Programm sind schuld am Niedergang. Das klingt verlockend logisch, aber es greift zu kurz. Sicher: Statt auf Freiheit für alle setzte diese Partei auf ihre Macht als Mehrheitsbeschaffer und eine kleine, feine Klientel aus fiskal-renitenten Zahnärzten und Mittelständlern. Dann kam der großspurige Rattenfänger Westerwelle, der mit dem Monothema Steuersenkung 15 Prozent Wähler herbeiflötete, vor allem aus dem launischen Protestlager. Als er das Versprechen nicht einlöste, ging es nur noch bergab.

Mit Philipp Rösler übernahm ein leicht orientierungsloser Jungspund das Steuer und beschleunigte den Niedergang. Das urliberale Generalthema Schulden, Symptom eines hypertrophen Staates, der sich und seine Bürger überfordert, überließ er lange kampflos der Union. Nun hat die Partei zwar wieder ein breites, recht respektables Programm. Aber es fehlen Politiker mit Charisma, die eine nennenswerte Zahl von Wählern dafür gewinnen.

Hier liegt das wahre Dilemma der FDP: Sie ist mit einer Gesellschaft konfrontiert, die sich gegen die Zumutungen der Freiheit nach Kräften sträubt. Das zeigt die Reaktion auf die liberale Agonie: Schulterzucken und Häme. Das Schulterzucken besagt: Wozu braucht es noch Freiheitskämpfer, da doch jeder sein Leben nach Belieben führen kann? Das ist uns Deutschen und Österreichern wohl wichtig, aber wir sehen unsere Forderungen erfüllt. Dabei übersehen wir so einiges. Etwa, dass es noch nie so viele Verbote, Regulierungen und paternalistische Eingriffe in die Lebenswelt des Einzelnen gab. Und dass der Staat uns mit seiner finanziellen Fürsorge in allen Lebenslagen in eine fatale wechselseitige Abhängigkeit zwingt, bei der die Dosis ständig steigt. Doch dieser Staat soll uns ja helfen, gegen die einzige Bedrohung, die wir für unsere Freiheit ausmachen: die materielle. Jobverlust, Abstiegsangst, das Gefühl der Ungerechtigkeit, wenn andere mehr Geld verdienen, obwohl wir schuften wie sie. Kurz: das Skandalon der Marktwirtschaft.

Nur blöd, dass allein sie auf Dauer allgemeinen Wohlstand schafft. Dazu braucht sie Ordnungsprinzipien, für die alle anderen Parteien sorgen – mit dem Furor der Obrigkeit, keine Sorge. Aber Marktwirtschaft braucht auch, in hohem Maße, ihre Freiheitsgrade – und dafür stehen nur die Liberalen. Es ist ihre Doktrin: Unternehmen müssen scheitern dürfen, damit Besseres seine Chance hat und der Eigner fürs Risiko haftet. Mitarbeiter stellt nur der ein, der sie auch wieder kündigen darf. Nur Leistungswille führt zu Wachstum, und es braucht Anreize zur Eigeninitiative, die der Staat durch eine dauerhafte Stallfütterung von Stimmvieh zunichtemacht.

Das sind Zusammenhänge, die fast jeder Ökonom bestätigt. Aber als politische Forderungen sind sie schwer vermittelbar, weil sie kalt und herzlos wirken. Um wie viel wohler klingt der Ruf nach sozialer Gerechtigkeit von links, um wie viel kuscheliger wärmt der heimatliche Herd bewahrter Werte von rechts. So bleibt dem liberalen Politiker in der Talkshow nur die Rolle des Buhmanns. Er erntet Häme, bevor wir die Chance haben, einmal um die Ecke oder zwei Jahre voraus zu denken.

Unsere Unmündigkeit verschulden wir selbst, und sie wird schlimmer, wenn die Stimme liberaler Aufklärer verstummt. Man müsste die Bedrohten unter Artenschutz stellen. Das wäre eine noble Geste der deutschen Grünen, die bald viermal so viele Wähler haben. Die wissen doch, was passiert, wenn ein Ökosystem kippt, weil eine Spezies ausstirbt – auch wenn keiner glaubt, sie vermissen zu müssen

E-Mails an: karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.01.2013)

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