Direkte Demokratie als seichte Unterhaltung

Ein sinnloses Regierungsjahr startet: Für die Heereskampagne werden Frauen zum Heer genötigt, zur Ablenkung wird die neu entdeckte direkte Demokratie verhöhnt.

Noch ein paar Aufmachertitel der „Krone“ sowie artverwandter Formate und selbst bekennende Berufsheeranhänger mutieren zu Wehrpflichtfanatikern. Dichand junior versucht sich erstmals mit partnerschaftlicher „Heute“-Unterstützung als Kampagnenleiter und lässt keinen Tag aus, in großen, schlichten Lettern das Ende des bestehenden Heeres herbeizuschreiben. Dass dabei allen Ernstes jungen Frauen Angst gemacht wird, bei Fortführung der Wehrpflicht zum Präsenzdienst einrücken zu müssen – ein Verfassungsrechtler findet sich immer für ein Zitat, notfalls Heinz Mayer –, zeugt vom guten Geschmack im SPÖ-Kampagnenbüro, das in der „Krone“-Chefredaktion eingerichtet wurde. Und von steigender Panik der SPÖ, die erste 2013er-Wahl – Verzeihung: Befragung zu verlieren. Wenigstens wurde Norbert Darabos davon überzeugt, den Rücktritt im Fall einer Niederlage nicht anzukündigen. Sonst würde die Zahl der Wehrpflichtbefürworter weiter steigen.

Dem handelnden politischen Personal geht es ohnehin nicht um den Inhalt, also die sachliche Antwort auf die Volksbefragung, sondern ausschließlich um die Chancen für nachfolgende Urnengänge. Denn für Landeshauptleute gilt wie für die Bundesregierung und Parteifreunde: Diese Volksbefragung ist das perfekte Ablenkungsmanöver für Medien, die ideale Lockerungsübung und ein perfektes Unterhaltungsprogramm für müde Funktionäre, denen frustriert aufgefallen ist, dass in der laut Umfragen Kleinen Koalition nicht mehr viel weitergeht. Zwar hat man in der SPÖ-ÖVP-Zentrale mit einem Finanzskandal wie jenem in Salzburg nicht rechnen können, der laut jüngsten „Presse“-Recherchen zeigt, dass er keinesfalls nur von einer Beamtin zu verantworten ist. Aber dass das Land mehr über Für und Wider eines verpflichtenden Dienstes an der Waffe oder am Rollstuhl spricht, hilft durchaus, die unglaubliche und unkontrollierte Finanzgebarung mehrerer Bundesländer in den Hintergrund zu drängen. Von wirklich drängenden Problemen wie der katastrophalen Bildungspolitik einer gegeneinander arbeitenden Regierung oder dem Defizitabbau ist erst gar nicht die Rede.

Gelernt wurde das Konzept demokratiepolitischer Brot und Spiele übrigens in Wien: Dort ruft die SPÖ-Stadtverwaltung in regelmäßigen Abständen immer wieder zur Abstimmung über Selbstverständlichkeiten auf und mobilisiert beispielsweise gegen die von niemandem ernsthaft geforderte Privatisierung der Trinkwasserversorgung. Hier soll die lustige Übung vom Umstand ablenken, dass in Wien die Parkraumbewirtschaftung mit hohen Gebühren ausgeweitet wurde. Spricht man mit Wiener Politikern, herrscht überhaupt kein Zweifel, dass das Manöver gelingt. Wähler muss man unterhalten, Frank Stronach ist da ganz gut, eine Schein-Einbindung der Wähler noch besser.

Dies passiert auf Bundesebene ausgerechnet in einer Legislaturperiode, in der mehrmals und offen über den Ausbau der direkten Demokratie diskutiert, von der SPÖ und vor allem der ÖVP ein solcher sogar in Aussicht gestellt wurde. Doch genau wie die zehnprozentige Kürzung der Anzahl der Bundes- und Nationalräte nicht passiert, bleibt auch die Möglichkeit einer echten direkten Bürgerbeteiligung aus und somit ein reines Lippenbekenntnis.

So zynisch lässt sich Politik gestalten, wenn es um Machterhalt geht: Im verflixten fünften Jahr der Regierung wird der Bevölkerung eine offensichtlich fadenscheinige Volksbefragung angeboten. Nehmen die Wähler das demokratiepolitische Almosen dankbar an, ist für SPÖ und ÖVP fast alles gut. Oder besser: Der Verlierer wird ohnehin sagen, dass gegen die geballte Medienmacht des Gegners mit Vernunft nichts zu machen war. Und ist die Wahlbeteiligung wie erwartet gering, kann man das schwache Ergebnis wenigstens als klare Absage an mühselige Veränderungen des geltenden Wahlrechts interpretieren.

Einen Nebeneffekt hat dieser sonderbare Zwischenwahlkampf auf jeden Fall: Das Verhältnis der Regierungsparteien ist einmal mehr zerrüttet, die Stimmung mies wie lange nicht. Und wir wissen: Die Verlängerung der Periode auf fünf Jahre war ein Fehler. SPÖ und ÖVP brauchen pünktlich alle vier Jahre ihren Wahlkampf. Notfalls zum Heer.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

NaziVergleich Auch Bundespraesident ruegt
New Articles

Nazi-Vergleich: Auch Bundespräsident rügt Ackerl

Oberösterreichs SP-Chef erklärte im Ringen um ein Berufsheer, die Zwangsverpflichtung sei eine Idee des Nationalsozialismus. Fischer und die ÖVP orten eine "Entgleisung".
Leitartikel

Leitartikel: Was noch gefehlt hat: Die Nazi-Keule für den Endkampf

Streitfall Wehrdienst: Es ließen sich viele Argumente gegen Zwang und Pflicht finden. Man müsste nicht gleich mit dem schwersten aller Geschütze auffahren.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.