Ein Urteil als Weckruf für die Politik

Ernst Strasser muss für die Zustände in dieser Republik zahlen. Doch es trifft nicht den Falschen. Und das Urteil sollte andere Möchtegern-Strassers abschrecken.

Vier Jahre Haft für Ernst Strasser: ein Urteil, das durchwegs mit Erstaunen aufgenommen wird. Allein das zeigt, wie ungewohnt es hierzulande noch ist, dass ein ehemals Mächtiger streng bestraft wird. Aber ist das (nicht rechtskräftige) Urteil gegen Strasser wirklich so überraschend?

Gewiss, der Ex-Politiker war bisher unbescholten. Dass eine Anzeige gegen ihn wegen Amtsmissbrauchs in seiner Zeit als Innenminister vom Staatsanwalt „übersehen“ wurde, wirft zwar ein schiefes Licht auf die damalige (Arbeits-)Moral in der Justiz; Strasser selbst kann man das Versagen der Ankläger aber nicht anlasten. Und natürlich ist im aktuellen Fall kein echtes Geld geflossen, und Strasser ist bloß in eine Falle von Journalisten getappt. Doch das war es dann schon mit den Gründen, die für eine niedrige Strafe sprechen. Dem steht eine Reihe von Argumenten gegenüber, die ein hartes Urteil nötig machen. Es geht hier nicht um einen x-beliebigen Bürger, dem einmal etwas Dummes „passiert“ ist. Es geht hier um den Leiter der ÖVP-Delegation im europäischen Parlament, der Gesetze gegen Geld verkauft haben soll. Und der so das Vertrauen in die Demokratie schwer erschüttert hat.

Fatal wäre es daher zu sagen, es sei ja nichts passiert. Denn zu Recht ist ein Amtsträger bereits dann strafbar, wenn er sich Geld auch nur versprechen lässt. Dass der Politiker dann tatsächlich Gesetze beeinflusst, wäre gar nicht mehr nötig, um ihn verurteilen zu können. Das musste der studierte Jurist Strasser wissen. Dazu kommt, dass Strasser Öffentlichkeit und Justiz für dumm verkaufen wollte. Er habe nur mitgespielt, weil er Geheimdienste hinter den Lobbyisten vermutet hatte, gab Strasser zu Protokoll. Reue sieht anders aus. Wer Gericht und Bürger zum Narren hält, statt zu gestehen, kann nicht mit Milde rechnen.

Nicht von der Hand zu weisen ist aber die Behauptung, dass Strasser nun für die allgemeine Stimmungslage in Österreich büßt. Noch vor ein paar Jahren wäre der Ex-Innenminister vor Gericht wohl billiger davongekommen. Nun sollen generalpräventive Gründe bei einem Urteil nie über Gebühr Niederschlag finden. Doch das Zeichen, das das Gericht hier setzt, ist ein längst nötiges. Nicht länger sollen Politiker oder andere Mächtige glauben, dass man es sich richten kann und sich im schlimmsten Fall eine Geld- oder eine bedingte Haftstrafe einhandelt. So gesehen ist das Strasser-Urteil richtungsweisend und wird die Wirkung nicht verfehlen.

Skurril wirkt daher der Vorschlag von Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer. Er will, dass bei Fällen à la Strasser generell von Haft abgesehen wird. Stattdessen sollen die Täter weiter arbeiten und hohe Summen an den Staat zahlen. Denn, so Böhmdorfer, von einer Gefängnisstrafe habe hier niemand etwas. Mit solchen Ideen aber würde das Strafgesetz zum Glücksspiel mutieren. Wird man nicht erwischt, freut man sich über das Bestechungsgeld. Wird man erwischt, muss man eben zahlen (vielleicht helfen dann aber auch befreundete Lobbyisten oder die Partei aus). Einen ähnlich schlechten Vorschlag – Zahlung einer Geldstrafe, mit der man sich einen Prozess wegen Korruption erspart – zog Justizministerin Beatrix Karl im Vorjahr zum Glück zurück.


Bei Delikten, die die Gesellschaft im Mark erschüttern – und dies tut die Korruption – ist kein Platz für einen Freikauf. Die Strafjustiz darf nicht nur der Logik des Kapitalismus folgen. Natürlich kostet eine Haft den Staat etwas, und die wenigsten Täter werden durch die Zeit im Gefängnis zu geläuterten, vorbildhaften Bürgern. Aber Strafe bedeutet nun einmal auch Vergeltung dafür, dass sich jemand gegenüber der Gesellschaft missverhalten hat. Und Strafen sind auch da, um jene abzuschrecken, die ebenfalls mit dem Gedanken spielen, sich nicht an das Recht halten zu müssen.

Ja, Ernst Strasser muss nun für die Zustände in dieser Republik zahlen. Ja, die Strafe ist hart. Aber sie trifft nicht den Falschen. Und das Urteil vier Jahre Haft scheint bei einer Strafdrohung von sieben Jahren gerechtfertigt. Und wenn nicht, wird das der Instanzenzug weisen. Strasser könnte schließlich auch noch freigesprochen werden. Das jetzige Urteil bleibt jedenfalls ein Weckruf für die Politik.

E-Mails an: philipp.aichinger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2013)

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