Leitartikel: Fragen Sie Ihr Volk oder Ihren Bürgermeister

Michael Häupl sorgt knapp vor der Wehrpflichtvolksbefragung für Unterhaltung. Er will den Souverän auch über die Gesamtschule entscheiden lassen. Wenn das keine Strategie für Sektionschef Faymann ist?

Eines muss man Michael Häupl lassen: Er bleibt seinem Schmäh treu. Der Wiener Bürgermeister verantwortet die sogenannte Volksbefragung über das Wehrpflicht-Dilemma der Bundesregierung – SPÖ und ÖVP wechselten über Nacht und nicht sehr geplant einfach ihre Positionen zur Sicherheitspolitik. Nun schlägt er via „Kurier“ vor, ein weiteres Problem der Bundesregierung an die Bevölkerung zu delegieren. Nachdem sich SPÖ und ÖVP nicht über die Einführung einer Gesamtschule einigen wollen, soll doch das Volk das entscheiden.

Dieses Verfahren könnte zum Rettungsanker für die Große Koalition werden. Probleme können die beiden Parteien nicht mehr lösen, Minister und Kanzler sind daher ab sofort nur noch ausführende Staatsbeamte mit höheren Gagen und regelmäßigen Wahlkämpfen. Werner Faymann hat dies bereits ziemlich offen ausgesprochen: Er setze einfach um, was die Bevölkerung wolle, sagte er anlässlich der sonntäglichen Wehrpflicht-Abstimmung. Eine eigene politische Agenda braucht er nicht mehr, die Meinung, so je eine vorhanden war, ist ab sofort privat. Repräsentative Demokratie 2013 heißt einfach: Der Bundeskanzler repräsentiert nur noch. In Österreich stimmen wir ab sofort über Steuererhöhungen für Besserverdiener, Ausweitung der Sozialleistungen für nicht so gut Verdienende und Subventionen auf Ferienreisen ab. Der Kanzler erledigt das als erster Sektionschef der Republik.

Häupls wahlkampfbedingter – er würde sagen: fokussierter – Sinn für Humor ist auch an einem weiteren Umstand erkennbar. So wie die Wehrpflicht bei der laut Umfragen zu erwartenden Mehrheit für die nächsten zehn Jahre einbetoniert ist, könnte Häupl nun das Gymnasium endgültig retten. Aber vielleicht versteht das der Bürgermeister nicht. Denn seine Wiener SPÖ formuliert und organisiert Volksbefragungen anders, da lauten die Fragen sinngemäß so: „Wollen Sie zu Hause weiter kostenlos Wasser trinken?“ oder „Wollen Sie, dass eine schwarz-blaue Faschistenpartie den Wiener Prater abholzt und mit SUVs zuparkt?“

Genau dafür wird die direkte Demokratie in Österreich verwendet: zur Selbstbestätigung der Ortskaiser, zum Training für die Partei und nun eben noch zur Entlastung einer überforderten Bundesregierung. Kommt das Volk auf die dumme Idee, mittels eines Begehrens selbst aktiv zu werden, dreht das Parlament die Forderung einfach wieder ab. Direkte Demokratie funktioniert von oben nach unten, nicht umgekehrt.

Eigentlich sollte das Volk bei groben Eingriffen in die Verfassung gefragt werden, wie beim massiven Souveränitätsverlust infolge des Euro-Stabilitätsmechanismus. Doch da heißt es dann, dass die Bevölkerung mit dem Thema überfordert sei.

Blickt man in die Schweiz, erahnt man, wie ein echtes System direkter Demokratie funktionieren kann. Oder ein echter Föderalismus, in dem die Länder auch Pflichten und nicht nur Privilegien übernehmen. Oder eine Neutralität, die gelebt wird und keine gemütliche Selbstzwecklüge ist.

Aber das ist vielleicht zu viel verlangt von einem Wiener Bürgermeister, den am meisten interessiert, wie St. Pölten denkt.



rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2013)

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