Eine ganz hervorragende Idee, Mr. Cameron

Großbritannien hat das Recht auf einen EU-Austritt. Das vom Premier angekündigte Referendum ist eine gute Chance, die zerrüttete Beziehung endlich zu klären.

Die Geister, die er rief, sind da. Sie haben sich des britischen Schlosses bemächtigt. David Cameron hat mit einer EU-kritischen Haltung seine Wahlen gewonnen. Der heutige Premierminister hat eine Stimmung in der Bevölkerung aufgegriffen, die er zwar nicht wirklich geteilt, die ihm aber zur Macht verholfen hat. Jetzt kommt dafür die Abrechnung. Er muss, ob er will oder nicht, ein Referendum über den EU-Austritt abhalten. Viele seiner Parteifreunde werden das als hervorragende Idee empfinden.

Notwendig ist dieser Schritt tatsächlich. Denn wie in jeder zerrütteten Beziehung muss irgendwann die Entscheidung zwischen Fortsetzung oder Trennung fallen. Es geht nicht an, dass die gesamte Familie darunter leidet, dass die gemeinsame Basis ständig infrage gestellt wird. Doch was Cameron unter Familie versteht, ist wohl etwas anderes als für viele in- und ausländische Partner. Er meint damit seine eigene Partei, die Tories, der Rest meint Europa.

Großbritannien hat ein Recht, die EU zu verlassen – ein festgeschriebenes Recht. Der Lissabon-Vertrag enthält eine Austrittsklausel, die jedem Mitgliedsland diese Möglichkeit bietet. Es wäre also falsch, Camerons Ankündigung als Ungehörigkeit zu kritisieren. Ob der Austritt dem Land selbst oder der EU Vorteile brächte, ist eine andere Frage. Großbritannien profitiert von der Teilnahme am Binnenmarkt, die Londoner City ganz besonders. Voraussichtlich würde ein Austritt der britischen Wirtschaft schaden. Und auch den EU-Partnern würde ein sicherheitspolitisch wichtiges – mit den USA eng verbundenes – Land fehlen. Beide Seiten würden also verlieren.

Dennoch gibt es gute Gründe, warum Großbritannien endlich eine Entscheidung über sein Verhältnis zur EU treffen sollte. Denn seit Jahren hat sich das Land zum Klumpfuß der Gemeinschaft entwickelt. Wenn David Cameron jetzt die EU für ihre Instabilität, ihre Krisenpolitik, ihre mangelnde demokratische Legitimation kritisiert, muss klar sein, dass Großbritannien daran einen Gutteil an Mitschuld trägt. Ein Beispiel: Als sich die Euroländer 2011 zu einer Schuldenbremse in der Fiskalpolitik verpflichten wollten, um die gemeinsame Währung abzusichern, durfte das nicht Teil des EU-Vertrags werden. London legte dagegen ein Veto ein. Der Fiskalpakt, der dann als Umgehungskonstruktion abseits des Vertrags und abseits der parlamentarischen Kontrolle entwickelt wurde, ist nur deswegen zu einem zweifelhaften Regelwerk geworden. Oder ein anderes Beispiel: Als Deutschland und Frankreich 2003 ungestraft den Stabilitätspakt brachen und dem Euro damit großen Schaden zufügten, hat London den politischen Freibrief dazu mitgetragen. Es hatte damals nämlich selbst ein viel zu hohes Defizit.

Großbritannien hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte nicht nur einen milliardenschweren Rabatt, sondern vier Opt-outs von wichtigen EU-Politikfeldern herausverhandelt – vom Euro über Schengen, dem Justizbereich bis zu den Grundrechten. Wenn Cameron heute von der Entfernung der Bevölkerung zur EU spricht, ist das angesichts der Tatsache kurios, dass gerade in seinem Land ein wesentlicher Teil der direkten, im Unionsvertrag verankerten Rechte der Menschen nicht gilt.

Es ist höchste Zeit, dass die Beziehung bereinigt wird. Das Austrittsreferendum kann dabei durchaus helfen. Aber die Beziehung wird nicht auf jene Weise bereinigt werden, die Cameron vorschwebt. Der Premier hat zwar recht, wenn er darauf drängt, dass die EU reformiert werden muss. Sie muss von unnützen Kompetenzen gereinigt, auf ein ordentliches demokratisches Fundament gestellt werden. Wenn er aber behauptet, das könnte durch das Erpressen nationaler Privilegien erreicht werden, führt er nicht nur die EU-Partner, sondern auch seine Landsleute in die Irre.

Es ist fast zu hoffen, dass die Tories die nächsten Wahlen gewinnen und die Volksabstimmung unumgänglich wird. Denn entweder die Briten versöhnen sich mit der EU und werden zu einem konstruktiven Mitglied. Oder die EU hat ohne den Bremsfaktor Großbritannien endlich die Chance, eine tief gehende Reform einzuleiten. Beides wäre besser als die heutige Situation.

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2013)

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