Es wäre wieder einmal Zeit für ein Lichtermeer

Das Liberale Forum war die politische Enttäuschung der 90er-Jahre, das Lichtermeer die Geburtsstunde der linken Zivilgesellschaft. Rechts formiert sie sich zu zaghaft.

Zu Beginn war es eine geradezu lächerlich harmlose Geste: Heide Schmidt stellte eine brennende Kerze in ihr Büro der Dritten Nationalratspräsidentin, um sich ein bisschen mit den tausenden Demonstranten zu solidarisieren, die vor dem Parlament vorbeizogen. Auf dem Heldenplatz ging vor 20 Jahren das Lichtermeer über die Bühne – als Demonstration gegen das Ausländervolksbegehren der FPÖ. Die Ex-FPÖ-Generalsekretärin, die Jörg Haider lange unterstützt hatte, ging wenig später mit vier FPÖ-Abgeordneten an die Öffentlichkeit und gründete unter großem Echo das Liberale Forum. Die Sympathien waren enorm, links hoffte man auf die Schwächung der FPÖ, dann auf eine Partei zur Bildung einer Ampelkoalition. Im bürgerlichen Spektrum ersehnten viele eine wirtschaftsliberale Partei. Es blieb bei den Hoffnungen.

So unterhaltsam die kurze Geschichte des Liberalen Forums war, so redlich möglicherweise die Motive der handelnden Abgeordneten waren, die blassblaue Minipartei blieb, höflich formuliert, eine Fußnote. Nicht so höflich: eine nicht ganz kleine Zeit- und Ressourcenverschwendung. Die wenigen Wirtschaftsliberalen wie Helmut Peter standen allein. Schmidt vollzog ihre Wandlung nach links, aber auch dort war und ist keine Chance für eine liberale Partei. So weit das Unterkapitel LIF der Jörg-Haider-Jahre Österreichs. Ähnlich relevant war nur noch der schwarz-grüne Charme, der vor zehn Jahren durch Wien geisterte.

Beim Lichtermeer muss die zugegebenermaßen bequeme Bewertung 20 Jahre später differenzierter ausfallen: Viele Punkte, die hätten verhindert werden sollen, wurden umgesetzt. Nicht etwa von einer bösartigen FPÖ, sondern von SPÖ- und ÖVP-Ministern. Schon vor und nach der kurzen FPÖ-Regierungsbeteiligung der Wendezeit verschärften Franz Löschnak, Karl Schlögl und Folgende die Ausländergesetze. Zuletzt verzichtete die SPÖ zwar taktisch auf das brutale Innenministerium, stimmte aber jedes Mal brav mit, wenn Ernst Strasser, Maria Fekter oder Johanna Mikl-Leitner die Schraube fester zogen. Und auch die Lichtermeer-Initiatoren von damals halten sich heute bei der aktionistischen Besetzung der Votivkirche wohlweislich zurück. Vielleicht weil sie erkannt haben, dass Asylregelungen und Integration nicht das ideale Feld für eine Politik der Gefühle sind.

Aber der Protest – mit Diskussionen um die Vergangenheitsbewältigung Kurt Waldheims – markierte die Geburt einer Zivilgesellschaft links der Mitte. Peter Huemer, André Heller und andere melden sich seither zu Wort, unzählige weniger prominente Zirkel folgten, die die Politik fern der Parteien verstehen und mitgestalten wollen. Viele aus der Lichtermeer-Gruppe haben heute ein schlechtes oder kein Verhältnis zu Werner Faymanns SPÖ, was auf kleine intellektuelle Defizite im Kanzleramt hindeuten dürfte.

Dass heute Empörung und Sorge von Ex-Heldenplatz-Demonstranten nicht mehr so ernst genommen werden, mag an der Selbstgerechtigkeit mancher Proponenten liegen – und an den inflationären politischen Forderungen und Stellungnahmen der damals gegründeten NGO „SOS Mitmensch“. Aber: Es gab plötzlich eine neue Zivilgesellschaft links der Mitte, wie sie der US-amerikanische Schriftsteller Henry David Thoreau einst entwarf. Und das ist eine gute Nachricht.

Die weniger gute lautet, dass sie sich rechts der Mitte erst sehr langsam etabliert. Dort geben noch immer (oder wieder) die (Karriere-)Netzwerke entlang der und in der Volkspartei, Wirtschaftskammer und befreundeten Institutionen den Ton an. Ja, es entstehen neue Institute, es werden neue politische Salons – jenseits von PR-Agenturen – veranstaltet, politische Köpfe starten neue Parteigehversuche wie Matthias Strolz mit Neos. Aber eine bürgerliche Bewegung für eine neue Politik – wie sie die Hellers und Huemers von „ihren“ Parteien forderten – gibt es noch nicht. Noch bleibt es beim Jammern und Jaulen. Die Auswegslosigkeit angesichts einer ewig fortgeschriebenen Koalition aus Werner Faymann und Michael Spindelegger – um SPÖ und ÖVP zu personifizieren – lässt nur einen Wunsch zu: ein Lichtermeer für echte Veränderung. Für ein Ende des Stillstands in allen relevanten Themen von Bildung bis Steuergerechtigkeit.

E-Mails anrainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2013)

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