Ein Problem von Angebot und Nachfrage

Die Wiederbelebung der Ambulanzgebühr – zumindest als Debattenbeitrag. Das letzte Mal war das ein klassischer Fall von „Gut gemeint ist das Gegenteil von gut“.

Wer wie der Autor dieser Zeilen Stammgast in einer Ambulanz ist – vorzugsweise am Samstagnachmittag oder am Sonntagvormittag in einem Wiener Kinderspital –, der wird dem Befund zustimmen: Ja, die Ambulanzen sind heillos überfüllt. Wartezeiten von drei Stunden sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel.

So hat man immerhin Zeit, über mehrere Dinge nachzudenken: Warum ist das so? Wie erschöpft müssen die Ärzte und Krankenpfleger nach so einem Arbeitstag in der Ambulanz sein? Und wohin gehen eigentlich die Österreicher ohne Migrationshintergrund, wenn das Kind am Wochenende erkrankt? Warten sie einfach bis Montag? Rufen sie ihren Hausarzt privat an bzw. einen befreundeten Mediziner? Oder machen sie sich schlicht weniger Sorgen? Denn der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund ist hier überproportional hoch.

Die Erklärung der Experten ist einleuchtend: Es sind eher Menschen aus sozial schwachen Schichten, die Ambulanzen aufsuchen, und dazu zählen eben insbesondere die Zuwanderer. Zudem sind diese mit dem System der niedergelassenen Ärzte vielfach weniger vertraut, und der Weg in eine Ambulanz ist einfach der unkompliziertere und naheliegendere.

Und noch etwas geben Mediziner, die den Alltag in einer Ambulanz aus eigener Erfahrung kennen, zu bedenken: Viele Menschen – egal, ob nun in Österreich geboren oder nicht – suchen wegen Kleinigkeiten wie einer Verkühlung die Ambulanzen in den Spitälern auf. „Bei jedem Wehwehchen“, wie der Vizepräsident der Ärztekammer, Harald Mayer, sagt, der nun die Wiedereinführung der Ambulanzgebühr verlangt.

Die Ambulanzgebühr ist ein schönes Beispiel für den alten Kalauer „Gut gemeint ist das Gegenteil von gut“. Als Lenkungsmaßnahme, um die Patientenströme von den Spitalsambulanzen in den niedergelassenen Bereich umzuleiten, hatte die schwarz-blaue Regierung diese 2001 eingeführt. Als eine Art Selbstbehalt, der auch der Finanzierung des Gesundheitssystems zugutekommen sollte. Doch wie sich bald herausstellte: Der Verwaltungsaufwand fraß die Einnahmen bei Weitem auf, zumal aufgrund zahlreicher Ausnahmeregelungen viele Patienten von der Gebühr befreit waren. Als dann auch noch der Verfassungsgerichtshof das Gesetz wegen handwerklicher Fehler teilweise aufhob, ließ man es ganz bleiben. Seitdem lebt die Ambulanzgebühr nur noch in medialen Rückblenden als ein von FPÖ-Sozialminister Herbert Haupt zu verantwortendes „Pfuschgesetz“ der Regierung Schüssel fort.

Nun erfährt sie ein kleines Comeback – allerdings auch nur als Debattenbeitrag. Denn SPÖ-Gesundheitsminister Alois Stöger denkt nicht daran, dem Vorstoß der Ärztekammer näherzutreten. Wobei dieser auch recht durchsichtig ist: Denn mit der Warnung vor einem Kollaps der Ambulanzen samt Forderung nach Zutrittsbeschränkungen und -gebühren will diese Druck für mehr Kassenstellen im niedergelassenen Bereich machen – tausend an der Zahl wären die Wunschvorstellung. Wogegen grundsätzlich nichts einzuwenden wäre. Wenn nicht das Geld knapp wäre.

Wenn man die Erfordernisse einer entsprechenden Gesundheitsversorgung der Bevölkerung und die finanziellen Möglichkeiten des österreichischen Gesundheitssystems gegenüberstellt, wird man zu dem Schluss kommen müssen, dass die Erweiterung der Öffnungszeiten von niedergelassenen Ärzten auf das Wochenende und die Schaffung von Gemeinschaftspraxen der bessere Weg ist.

Ganz abgesehen davon, dass die Steuerbelastung der Bürger ohnehin schon jetzt sehr hoch ist. Und bevor neue zusätzliche Gebühren eingeführt werden, sollte schon noch versucht werden, mit den bereits eingehobenen besser auszukommen. Wie schon bewiesen, ist gerade bei der Ambulanzgebühr die Gefahr hoch, dass diese letztlich im Verwaltungsapparat versickert.

Als Alternative zur Ambulanz an Wochenenden schlägt Herr Doktor Mayer von der Ärztekammer übrigens den Ärztenotdienst vor. Aber auch auf diesen wartet man – jedenfalls in Wien – mindestens drei Stunden.

E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2013)

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