Ach, Europa! Ein bisschen mehr Welt würde Rom jetzt guttun

Noch nie gab es so viele Katholiken wie heute, dank der Zuwächse an Gläubigen in Asien, Afrika, Amerika. Vielleicht sollte auch der nächste Papst von dort kommen.

In Österreich, dieser Insel der selig Jammernden, ist es üblich, sorgenvoll zu blicken, wenn die Rede auf die Situation der katholischen Kirche kommt. Die Zahl ihrer Gläubigen hat in 50 Jahren in Relation stetig abgenommen, von 89Prozent der Bevölkerung auf rund 63 Prozent. Der Aderlass der Kirchenaustritte ist nicht zu stoppen. Ähnlich ist die Entwicklung in umliegenden Ländern, auch in Deutschland, der Heimat des Papstes, der am Montag seinen Rücktritt mit Ende des Monats angekündigt hat. Die Kirche ist in der Alten Welt seit Langem in der Defensive.

Benedikt XVI. habe vor den vielen Sorgen kapituliert, wurde nach der sensationellen Verlautbarung des Papstes sinngemäß in vielen Kommentaren angeführt. Das Gros der Leitartikler will sich nicht mit der simplen Erklärung zufriedengeben, dass Joseph Ratzinger wegen der Bürde des Alters sein Amt abgeben wird. Da muss doch mehr dahinterstecken, Skandalöses! Ist der Bischof von Rom nicht doch auch gescheitert?

Angeführt wird für diese Erklärung Plakatives wie die Aufhebung des Zölibats oder die Einführung der Priesterweihe für Frauen – honorige, sogar wichtige Themen, Probleme, die nicht unbedingt zu zentralen Glaubensfragen gehören und gerade deshalb lösbar wären, deren Bewältigung aber nicht und nicht in Gang kommen will. Wenn man dazu noch mangelnde Demokratie, reaktionäre Tendenzen, die den Fortschritt des Zweiten Vatikanums gefährden, oder Unzeitgemäßes zur Sexualethik anführt, dann auch noch die zahlreichen ungesühnten Missbrauchsfälle erwähnt, in die Geistliche involviert waren, scheint der Rücktritt menschlich verständlich.


Die katholische Kirche kann aber auch ganz nüchtern als eine global agierende Firma angesehen werden, mit dem Vatikan als Zentrale, und da sieht die Bilanz nicht so düster aus wie aus der Perspektive von Städten wie Wien, München oder Rom. Die Umsätze unter Benedikt XVI. können sich sehen lassen. Weltweit ist die Zahl der Katholiken auf 1,2 Milliarden Menschen gestiegen. 2005, bei seiner Amtsübernahme, waren es 1,1 Milliarden. In acht Jahren wurde die Zahl der Katholiken um gut 100 Millionen vermehrt. (Zum Vergleich: Es gibt derzeit geschätzte 1,6 Milliarden Muslime und insgesamt 2,2 Milliarden Christen.) Die Katholiken machen 17,5 Prozent der Weltbevölkerung aus. Das hält sich ungefähr die Waage mit der Zahl der religionslosen Menschen – Atheisten und Agnostiker zusammengenommen.

Die Wachstumsmärkte des Glaubens befinden sich in Afrika, Asien und sogar auch noch der Neuen Welt. Nur das alte katholische Stammhaus Europa schwächelt beim prozentuellen Anteil, obwohl auch hier die Zahl der Katholiken real immerhin steigt – allerdings ist sie vernachlässigbar gering im Vergleich zu den vielen Millionen pro Jahr, die anderswo dazukommen, vor allem durch Bevölkerungswachstum, das der Vatikan durch seine Restriktion der Verhütung praktisch ungebremst fördert. Knapp die Hälfte der Katholiken lebt in der Neuen Welt (die zirka 14 Prozent von insgesamt 7,1 Milliarden Menschen ausmacht).


Der scheidende Papst war also ein Stellvertreter Christi mit einer beinahe absoluten Mehrheit von Gläubigen in Latein- und Nordamerika. Seine Nachfolger können vielleicht in absehbarer Zeit mit der Dominanz von Asien und Afrika rechnen. Das christliche Privileg des Abendlandes ist passé. Wäre es also vermessen, dem Konklave zu wünschen, dass der Geist, der weht, wo er will, diesmal das arme alte Europa, das unter der Bürde seines kulturellen Erbes ächzt, entlastet und einen Bischof von Rom erwählt, der nicht aus der Stadt, nicht aus Italien oder dem einst Heiligen Römischen Reich, sondern aus den erfolgreicheren Gebieten der Mission kommt?

Der Segen des Papstes zum Osterfest heißt aus gutem Grund „urbi et orbi“. Ein bisschen mehr Welt würde dem Vatikan guttun. Vielleicht ergibt sich bei so viel Weitblick sogar, dass der neue Bischof von Rom das politische Charisma von Johannes Paul II., die dogmatische Ernsthaftigkeit von Benedikt XVI. und die seltene Offenheit der Päpste des letzten Konzils hat, die für die Kirche so kostbar und nötig war.

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.