Schlampige Verhältnisse: Familien haben mehr verdient

Der EGMR öffnet den Elternbegriff für Homosexuelle, um ihn dem Alltag anzupassen. Der Gesetzgeber ist vermutlich erleichtert, dass er selbst nicht entscheiden muss.

Wie liberal, wie freigeistig sind Sie denn? Um so etwas abzutesten, gibt es – nicht nur in Politikerinterviews – ein paar klassische Fragen. Eine lautet: Sollen schwule oder lesbische Paare Kinder adoptieren dürfen? Die Antwort zeigt einen interessanten Effekt. Viele Menschen, die der Meinung sind, dass jeder privat so leben soll, wie es ihm oder ihr gefällt, ziehen hier eine Grenze. Was zwei Erwachsene miteinander machen, so lautet der Tenor, sei deren Sache, wenn aber Kinder ins Spiel kämen, höre sich der Spaß auf. Ein Kind brauche Vater und Mutter, eine gute heterosexuelle Beziehung sei für dessen Wohl und Heranwachsen besser als eine gute gleichgeschlechtliche. Da müsse man die Natur akzeptieren.

In dieses Familienbild platzt nun das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Dieser sagt, dass die Republik die Menschenrechte verletze, weil das Gesetz es einem lesbischen Paar verwehrt, prüfen zu lassen, ob es für das Kindeswohl besser sei, wenn die Partnerin der Mutter deren leibliches Kind adoptiert. Bei heterosexuellen unverheirateten Paaren ist eine solche Stiefkindadoption hingegen möglich. Als eine Begründung führt das Straßburger Gericht nüchtern Brisantes an: Die österreichische Regierung habe ihm nicht beweisen können, dass es für ein Kind schlechter sei, wenn es zwei Väter oder zwei Mütter statt Vater und Mutter habe.

Man muss sagen: Die Republik hätte es auch schlecht beweisen können. Nicht, weil es keine wissenschaftlichen Studien gibt (diese existieren für Pro und Kontra), sondern, weil der Gesetzgeber gegen sich selbst argumentieren müsste. Es ist Homosexuellen nämlich durchaus erlaubt, ein (fremdes) Kind zu adoptieren – allerdings nur als Einzelperson, nicht als Paar. Sprich: Ein Kind in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung aufzuziehen ist für den Gesetzgeber in Ordnung, also nicht schädlich für das Kind. Dieses De-facto-Familienverhältnis als Familie zu legalisieren, das geht aber nicht. Man kann das schlampig nennen. Oder auch feig. Wobei natürlich jeder weiß, warum der Gesetzgeber (und nicht nur unserer) so herumdruckst: Wenn er nämlich klar befürworten würde, was der EGMR nun sagt, nämlich, dass der „Elternbegriff“ nicht nur für Vater und Mutter reserviert ist, würde er eine Gruppe von Menschen respektive Wählern irritieren (und, nein, nicht nur bei der ÖVP). Dasselbe würde übrigens auch passieren, spräche er sich klar dagegen aus.

Stattdessen machte der Gesetzgeber sicherheitshalber möglichst nichts und benachteiligt währenddessen durch sein Hinschauen/Wegschauen eine andere Gruppe: die Kinder. Denn ob es einem nun ideologisch gefällt oder nicht, es gibt Kinder – gar nicht wenige – die in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften aufwachsen. Entweder stammen sie aus einer früheren heterosexuellen Beziehung, oder sie wurden durch eine Samenspende (im Ausland) gezeugt, oder ein Partner hat allein ein Kind adoptiert. Diese Kinder haben im ersten Fall kein Recht darauf, dass – wie bei Kindern in heterosexuellen Partnerschaften – vom Gericht geprüft wird, ob es für ihr Wohlergehen besser sei, die rechtliche Beziehung zu einem biologischen Elternteil zu kappen. Im zweiten und dritten Fall haben sie von Anfang an überhaupt nur einen Elternteil, nur eine Person, die rechtlich für ihren Unterhalt zuständig ist und ihnen direkt etwas vererben kann. Wenn eine gleichgeschlechtliche Beziehung mit Kind auseinandergeht, gibt es keine Unterhaltszahlungen, kein Besuchsrecht, keine gemeinsame Obsorge. In anderen Worten: Es geht hier ganz praktisch um das in Debatten so oft beschworene Wohl der betroffenen Kinder.

Apropos Betroffene: Das EGMR-Urteil könnte auch für heterosexuelle Paaren etwas „bringen“. Fachleute drängen schon lange auf eine Generalreform des strengen Adoptionsrechts: Das geht von Altersgrenzen bis zu der Frage, ob eine Adoption wirklich die Beziehung zu einem vorhandenen Elternteil kappen muss – oder ob Besuchsrechte weiterbestehen können. Den Experten wäre ein Gesetz aus einem Guss lieber als das ständige Warten auf höchstgerichtliche Entscheidungen samt anschließenden Reparaturarbeiten. Familien haben sich zur Regelung ihres Alltags mehr verdient als ein legistisches Flickwerk. Und zwar alle.

E-Mails an: ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2013)

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