Das Konklave wird die Kirche um 50 Jahre zurückführen

115 Kardinäle treffen ab heute nach Einzug in die Sixtina eine Richtungsentscheidung für die Kirche. Dabei ist diese Richtung längst vorgezeichnet.

Christoph Schönborn, Kardinal zu Wien, derzeit auf ungewisse Zeit im Vatikan, hat Mitleid. Er, der (wie auch schon, manche erinnern sich noch dunkel, vor acht Jahren) selbst in vielen Medien als möglicher zukünftiger Papst genannt wird, äußert prophylaktisch Mitleid für den, auf den die Wahl ab heute, Dienstag, fallen könnte. Der Wiener Erzbischof sieht an den Nachfolger BenediktsXVI. „nahezu übermenschliche Anforderungen“ gestellt. So jedenfalls wurde Schönborn in Rom bei seinem letzten öffentlichen Auftritt vor dem Einzug der Wähler, pardon Eminenzen, in das wohl prunkvollste Wahllokal der Welt, pardon in die Sixtinische Kapelle, zitiert.

Gewiss, das Amt des Papstes ist kein Job, schon gar nicht einer wie jeder andere. Gewiss, die Anforderungen an den Mann an der Spitze einer Glaubensgemeinschaft mit 1,2 Milliarden Mitgliedern, der als „Stellvertreter Jesu Christi“ verstanden wird, sind hoch – aber nur dann übermenschlich hoch, wenn im Wesentlichen alles so bleibt wie bisher. Organisatorisch wie strukturell. Denn eine derartige Machtfülle, wie sie Papst und Kurie zwar schleichend, aber umso beharrlicher während der vergangenen Jahrzehnte akkumuliert haben, ist nicht gottgegeben. Das heute beginnende Konklave wird mit seiner weltweit beachteten Personal- auch eine Richtungsentscheidung treffen. Dabei ist diese Richtung ohnedies längst vorgegeben: zurück an den Start sozusagen. Die Kardinäle müssen dafür Sorge tragen, dass die katholische Kirche um 50Jahre zurückgeführt wird. Fürchtet euch nicht! Zurück in die 1960er-Jahre, zum Zweiten Vatikanischen Konzil.

Während besonders in der Liturgie die Beschlüsse dieser Kirchenversammlung erfüllt, teilweise übererfüllt, manchmal auch missverstanden wurden, sind alle Bemühungen, die Art der Amtsführung des Papstes und der Kirchenleitung zu reformieren, nicht einmal zum Stillstand gekommen, sondern wurden erst gar nicht wirklich begonnen. Papst Paul VI. hat zum letzten Mal die Kurie reformiert. Seither hat sich der Verwaltungsapparat der katholischen Kirche in einer Weise verselbstständigt, die Vorgänge wie die bis heute zumindest öffentlich nicht völlig aufgeklärte VatiLeaks-Affäre begünstigt oder erst ermöglicht hat. Und der bis heute gleichfalls nicht restlos aufgeklärte Umstand, weshalb man den Papst die Exkommunikation eines „Bischofs“ der Piusbrüder aufheben ließ, ohne zu wissen, dass ebenjener Richard Williamson in Medien als Holocaust-Leugner aufgetreten ist, kann nur als Beweis von kirchenschädigendem Dilettantismus verstanden werden. (Oder die Aktion war überhaupt, was die Sache nicht besser macht, eine Infamie der Sonderklasse gegenüber dem deutschen Papst). Zurück an den Start bedeutet: Der neue Papst kann, darf, ja er muss sich am Schatz der größten Kirchenversammlung der Geschichte bedienen. Er wird umzusetzen haben, was die Konzilsväter vor 50 Jahren erdacht – und genau bedacht, eigentlich verbindlich beschlossen haben.

Konkret: Der Papst muss, um nicht unter der Last der „übermenschlichen Anforderungen“ zusammenzubrechen (wie Benedikt XVI.?) und um nicht dem Konzil untreu zu sein, das Amt des Petrus-Nachfolgers in tatsächlicher Kollegialität mit den Bischöfen, mit allen Bischöfen der katholischen Weltkirche ausüben. Was das konkret bedeutet? Sehr viel: Eine Reform der Kurie und das Austauschen von Köpfen, – oh, ja, daran führt kein Weg vorbei – allein werden nicht reichen. Der laut offizieller Kirchenzählung 266.Nachfolger des Apostels Petrus wird den Ortskirchen bedeutend mehr Vertrauen schenken, er wird ihnen Freiheiten in einem Ausmaß gewähren müssen, die heute (Tag eins vor dem Beginn des Konklaves) noch unerhört erscheinen. Zu unterschiedlich sind die Anforderungen an und die Rahmenbedingungen für die Seelsorge, als dass ihnen allein nach römischer Art begegnet werden könnte. Die Einheit dennoch zu gewährleisten mag zuweilen schwierig werden, unmöglich ist es natürlich nicht. Den Worten der Konzilsbeschlüsse müssen also weitere Taten folgen. Seien wir ehrlich: Mehr als 50 Jahre nach dem Beginn dieser historischen Kirchenversammlung wäre das kein einziges Jahrzehnt zu früh.

E-Mails an: dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2013)

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