Von Papst Franziskus werden Reformen erwartet. Nach dem Ordnen weltlicher Dinge könnte er sich Themen zuwenden, die nach 50 Jahren noch nicht verarbeitet sind.
Auf die ersten Eindrücke kommt es an – das braucht man einem Jesuiten nicht zu erklären. Sein Orden ist neben der Mission auch für effiziente Schulen bekannt. Bald nach der Gründung der Societas Jesu (SJ) durch Ignatius von Loyola und einige fromme Freunde im Jahre 1534 war diesen streitbaren Ordensleuten bewusst, wie bedeutend es ist, Kinder möglichst früh zu prägen. Wer durch eine jesuitische Schule gegangen ist, wird das im Leben nicht mehr vergessen. Diesen Geist, von Disziplin und Wachheit getragen, werden selbst rebellische Schüler nicht los. Mit strengen Schulen trugen die Jesuiten wesentlich zur Gegenreformation bei.
Was also hat Jorge Mario Bergoglio, den neuen Papst Franziskus, der in den Siebzigerjahren Provinzial der Jesuiten Argentiniens war, als jungen Mann theologisch geformt? Als er 1958 als Novize in die Gesellschaft Jesu eintrat, wurde gerade Angelo Giuseppe Roncalli Papst. Der hat dann 1962 als Johannes XXIII. zur Überraschung aller das Zweite Vatikanische Konzil einberufen. Bergoglio war damals Student der Geisteswissenschaften, unterrichtete anschließend Literatur und Psychologie (er schätzt Borges, Shakespeare, Dostojewski), studierte auch Theologie. 1969 wurde er zum Priester geweiht. Dieser Ordensmann hat also die entscheidenden Jahre seiner Berufung vor, im und unmittelbar nach dem Reformkonzil erlebt, an dem sich sein Vorgänger auf dem Heiligen Stuhl, der damals aufstrebende Dogmatiker Joseph Ratzinger, bereits aktiv beteiligte.
Die Wirkung der Öffnung der Kirche, damals in den Sechzigerjahren, auf die jungen Theologen, diese kräftige Durchlüftung eines viel zu lange geschlossen gehaltenen Raumes, kann man gar nicht ernst genug einschätzen. Jorge Mario Bergoglio ist ein jesuitischer Schüler des Jahrhundertkonzils, er und auch die folgenden Päpste werden noch viel von ihrer Energie auf seine Bewältigung verwenden müssen. Jesuitisch betrachtet ist Franziskus eigentlich der erste Papst, der aus dem Konzil kommt, denn sowohl Johannes Paul II. als auch Benedikt XVI. wurden als junge Priester vorkonziliar geprägt.
Im Zweiten Vatikanum liegen noch viele ungehobene Schätze. Das ist die Meinung vieler Theologen aus der Generation Bergoglios. Auch Benedikt XVI. betonte am 14. Februar 2013 bei seinem Abschied vor dem römischen Klerus, dass dieses Projekt wichtige und nicht aufgebbare Erneuerungen für die Liturgie und den gemeinsamen Glauben gebracht habe: In diese Richtung gelte es mit Vertrauen weiterzugehen, sagte der scheidende Papst vor 5000 Priestern und Ordensleuten seiner Diözese.
Seine Rede wirkt wie ein Vermächtnis für den neuen Obersten Hirten aus Argentinien, der sich zuerst in seinem Amt wohl um eher fast weltliche Dinge wie die Zusammensetzung seiner Kurie und moralische Verpflichtungen kümmern muss – zum Beispiel die Aufarbeitung der vielen Fälle von Missbrauch und Korruption, die die katholische Kirche im Kern schädigen.
Was aber sind die vor 50 Jahren erworbenen Schätze, auf die Ratzinger anspielt, die man nun endlich heben soll?
Etwas theologische Lektüre als Einstimmung darauf, was man von Papst Franziskus erwarten darf, könnte bei der Einschätzung helfen, etwa „Gaudium et Spes“ („Freude und Hoffnung“), das sich mit der Pastoral beschäftigt, mit der Kirche in der Welt von heute. Dass die Kirche den Auftrag bekräftigt, eine humane Gesellschaft zu gestalten, dass sie stets zum Dialog bereit ist, bleibt ein zentraler Text. So wie das Konzilsdokument „Nostra Aetate“ („In unserer Zeit“): Es definiert das Verhältnis zu den nicht christlichen Religionen und gesteht ihnen Elemente der Wahrheit zu. Der Beginn eines Dialogs mit Andersgläubigen hat stark an Bedeutung gewonnen wie auch „Dignitatis Humanae“ („Die Würde des Menschen“), das sich gegen Zwang in Glaubensfragen stellt.
Interessant wird in der Frage der Toleranz auch sein, wie sich ein jesuitischer Papst zum großen Jubiläum der Protestanten 2017 verhält, die 500 Jahre Reformation feiern werden. Wie viel Engagement wird Franziskus, möge er dann noch im Amt sein, für die Ökumene haben? Er wird sich hoffentlich rechtzeitig dazu äußern
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2013)