Zypern offenbart das Ende der EU-Krisenpolitik

Irritierende Vorschläge, Rücksichtnahmen und Blockaden: Es war eine absurde Idee, statt den IWF allein auch 27 EU-Regierungen an den Sanierungen werken zu lassen.

Christine Lagarde hat eigentlich gut lachen. Die ehemalige Synchronschwimmerin und spätere französische Finanzministerin quält zwar ein Verfahren wegen Veruntreuung in Paris, als IWF-Chefin hat sie aber ein bequemes Leben. Aus dem einst so angefeindeten Internationalen Währungsfonds ist eine fast schon sympathische Institution geworden. Lagarde ruft zur Räson, steuert geschickt im Hintergrund und lässt Angela Merkel und Co. den Vortritt, wenn es wieder einmal um akutes Krisenmanagement geht. Während sich die Politiker der EU Monat für Monat immer neue innen- und europapolitische Blessuren holen, kann Lagarde mit Vernunftpositionen reüssieren. Kein Wunder, dass die IWF-Chefin aus dem bürgerlichen Lager heute selbst bei Sozialdemokraten beliebt ist wie kaum einer ihrer Vorgänger.

Es hat sich alles gedreht. Der IWF, der ab den 1990er-Jahren in Südamerika und Ostasien mit harter Hand Staatssanierungen durchboxen musste und dafür ausgiebig gehasst wurde, ist heute ein beliebter Zaungast der Finanz- und Schuldenkrise in Europa geworden. Das Feindbild ist stattdessen die Politik der EU-27, deren Staats- und Regierungschefs eigentlich angetreten sind, um diese Krise möglichst schmerzlos zu lösen.

Ist das ungerecht? Nein, ist es nicht. Die aktuelle Zypern-Krise zeigt, welch fataler Fehler es war, der Politik federführend die Sanierung von Staaten zu überlassen. Es ist, als ob Steuersünder die Arbeit der Finanzbeamten übernähmen. Dabei ist es nicht allein der ständige Konflikte zwischen Befriedigung innenpolitischer Interessen und notwendiger harter Sanierungsmaßnahmen, der die europäische Politik dafür disqualifiziert. Sie läuft auch ständig Gefahr, aus Rücksichtnahme auf ihre eigene fragile Machtbasis das Falsche zu tun. So wurden für Zypern aus Rücksicht auf innenpolitische Stimmungen in den anderen EU-Staaten Zwangsenteignungen von unbeliebten Drittstaatsangehörigen beschlossen. Es wurde ein Run auf Banken riskiert, nur um eine vielleicht sowieso unausweichliche Insolvenz zu verhindern. In Zypern selbst wurde ein innenpolitischer Seiltanz zwischen den Interessen kleiner Sparer und jenen des Bankensektors veranstaltet. Und jetzt könnte aus all dem Schlamassel noch eine völlige Abhängigkeit des Landes von Russland entstehen. Das darf doch nicht mehr wahr sein. Was für ein Chaos.

Der Fehler geschah freilich nicht erst bei Zypern. Hätte der IWF 2010 die Sanierung von Griechenland allein übernommen, wäre Christine Lagarde heute vielleicht die unbeliebteste Vertreterin einer internationalen Organisation in Europa. Der Währungsfonds hätte wegen seiner begrenzten finanziellen Möglichkeiten das Land rasch in den Bankrott schicken müssen. Es wäre frühzeitig zu einem Schuldenschnitt für Athen gekommen, der auch andere Euroländer getroffen hätte. Dadurch hätte sich die Krise aber zeitlich verkürzt. Ob ein gut abgewickelter Staatsbankrott den Zerfall des Euro ausgelöst hätte, ist mehr als fraglich.

Natürlich hätte auch der IWF im Sinne von Fairness und sozialer Verantwortung nicht immer richtig gehandelt, aber er hätte immerhin handeln können, weil er nicht ständig blockiert wäre. Statt der EU hätte der IWF sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, er greife in die Demokratie einzelner Staaten ein.


Die Europäische Union mit all ihren historischen Leistungen für diesen Kontinent wäre heute fein raus, hätten ihre 27 Regierungen die Finger von all dem gelassen. Die europäische Politik hätte ihre Energien darauf verwenden können, die harten Sanierungsmaßnahmen des IWF abzufedern. Sie hätte sich darauf konzentrieren müssen, die Ursachen der Krise in ihrem Währungsraum nach und nach zu beseitigen. So geschieht alles gleichzeitig und nirgendwo ausreichend.

Die europäische Politik ist als Krisenmanagement gescheitert. Sie ist überfordert, gelähmt und inkonsequent. Sie ist freilich auch daran gescheitert, dass es kein Wir-Gefühl in Europa gibt. Wenn kein Wunder geschieht, wird Zypern den Beweis liefern, dass die Politik der EU-27 mit all ihrer Rücksichtnahme und ihren nationalen Interessenabgleichungen mehr Schaden anrichtet als die oft als herzlos gescholtenen Sanierer des IWF.

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2013)

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