Das Drehen an den kleinen Schrauben

Höhere Strafen werden Opfern von Zwangsprostitution nicht helfen. Es braucht kleine Ermutigungen, damit sie sich trauen, was ein Risiko bleibt: reden.

Es sind Geschichten, die nach alten „Tatort“-Folgen klingen und doch sind sie (noch immer) wahr: Männer sprechen Frauen in Discos im Ausland an, stellen ihnen lukrative „harmlose“ Jobs in Aussicht – und zwingen sie dann zur Prostitution. Oder – in der digitalen Variante – Frauen werden auf Online-Dating-Plattformen umworben, ins Land gelockt und dann als Prostituierte missbraucht. Oder eine andere – statistisch noch unauffällige – Konstellation: Frauen, die im Pflegebereich arbeiten, geraten in ein sexuelles Ausbeutungsverhältnis.

Aus der Außenperspektive, die die komplexen Gefühle der Betroffenen ausblendet (Scham, Angst, Bindung an den Peiniger), fragt man sich dann oft, wie so etwas passieren kann. Warum glauben Frauen die Lügen? Warum laufen sie nicht weg? Und warum zeigen sie die Täter so selten an? Zumindest die letzte Frage kann man einigermaßen logisch beantworten. Es bringt den Frauen wenig – außer Schwierigkeiten. Und je abhängiger die Frau vom Zuhälter/Menschenhändler ist, desto größer ihre Probleme.

Es beginnt damit, dass das Delikt des Menschenhandels nur schwer nachzuweisen ist. Nicht nur, weil es den Vorsatz zur Ausbeutung braucht, sondern weil derzeit nicht einmal klar ist, was unter Ausbeutung zu verstehen ist. Was ist, wenn die Frau doch (etwas) Geld bekommen hat? Ob das unter Ausbeutung falle, sei umstritten, sagt etwa Strafrechtsexpertin Katharina Beclin.

Das nächste Problem betrifft Frauen, die sich illegal in Österreich aufhalten. Im Unterschied zu EU-Bürgerinnen, denen etwa in Wien „nur“ ein Verwaltungsstrafverfahren bei Verstoß gegen das Prostitutionsgesetz droht, droht ihnen Schubhaft. Zwar wird ihnen, sofern es zu einem Strafverfahren kommt, ein humanitäres Bleiberecht zugestanden, aber dieses ist nicht automatisch von Dauer. Das heißt, sie können – vor allem, wenn ein Verfahren mangels Beweises eingestellt wird – rasch in ihre Heimat abgeschoben werden. Wo die Verbindungsleute der Menschenhändler schon auf sie warten. Vor denen fürchten sich viele auch ohne Abschiebung: Denn der Druck, der auf zurückgebliebene Verwandte ausgeübt werden kann, ist eines der effektivsten Mittel, um die Frauen ruhig zu halten. Da hilft dann auch ein Zeugenschutz nur bedingt. Bedingt helfen wird deshalb auch das, was mit der aktuellen Reform des Sexualstrafrechts nun geplant ist: ein Hinaufsetzen des Strafrahmens. Das drosselt zwar die Lautstärke der medialen Empörung, wenn – wie im Vorjahr – außerordentlich milde Urteile gefällt werden. Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass viele Frauen erst gar nicht reden wollen.

Kann man das überhaupt ändern? Und wie? Die schlechte Nachricht lautet: Die eine Lösung gibt es nicht. Die gute: Es existieren zumindest kleine Schrauben, an denen man drehen kann. Zum Beispiel schlagen Experten vor, verstärkt auf Sachbeweise am Tatort (nur von außen abschließbare Zimmertüren, Waffen etc.) zurückzugreifen. So würde der Fall nicht mehr allein von der Aussage der mutmaßlichen Opfer abhängen. Eine andere Idee ist heftig umstritten: Prostitution als herkömmliches Gewerbe anzuerkennen. Transparente Regeln würden zu faireren Arbeitsbedingungen führen, sagen die einen. Fairness in dem Bereich sei per se eine Chimäre, Arbeitsverträge (mit Weisungsrecht) würden Zuhältern und Menschenhändlern die Arbeit erleichtern, sagen die anderen. Die Bilanz aus Deutschland ist jedenfalls durchwachsen.

Und dann gibt es noch eine dritte Schraube, ein Schräubchen eher, an dem alle täglich drehen müssten, um den gesellschaftlichen Blick schärfer zu stellen. Das gilt vor allem für die Polizei, die sich in einem, zugegeben, schwierigen Dreieck bewegt: Kontrolle ausüben, Vertrauen aufbauen, und sich dabei nicht dem Korruptionsverdacht aussetzen. Das gilt aber für alle, wenn es darum geht, ein Klima zu schaffen, in dem Gewalt, die mit Sexualität einhergeht, nicht das gewisse „Nichts Genaues weiß man nicht“ oder „Wer weiß, ob die nicht eh wollte“ anhaftet. Und weil zu Beginn vom Fernsehen die Rede war: TV-Formate, die Geld Sex und Liebe „aus dem Osten“ zu Entertainment verquicken, helfen eher nicht dabei.

E-Mails an:ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2013)

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