Kinderlose profitieren vom Nachwuchs anderer Leute

Kinderlose profitieren Nachwuchs anderer
Kinderlose profitieren Nachwuchs anderer(c) Erwin Wodicka - BilderBox.com (Erwin Wodicka - BilderBox.com)
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Laut deutschen Ökonomen sind Kinderlose „Trittbrettfahrer“ im Pensionssystem und sollten daher weniger Rente erhalten. Die Diagnose ist richtig, die Therapie falsch.

Die Reaktionen zeigen, dass von den Ökonomen der Universität Bochum ein heißes Eisen angefasst wurde: „Reaktionärer Unfug“, hieß es etwa. Oder: „Rückkehr in das 19.Jahrhundert.“ Was hatten die Volkswirte da unlängst zu Papier gebracht, dass es so für Aufregung sorgte?

In ihrer Studie über die Zukunft des deutschen Rentensystems beleuchteten sie das Zusammenspiel zwischen Eltern und Kinderlosen im Pensionssystem. Und sie nahmen sich dabei kein Blatt vor den Mund: Obwohl die Pensionssysteme auf den Einkommen künftiger Generationen basieren, spiele die Zahl der Kinder keinerlei Rolle. Kinderlose würden somit immer öfter zu Trittbrettfahrern, da sie sich nicht nur die Kosten von Kindern ersparen, sondern auch mehr arbeiten und dadurch höhere Pensionsansprüche erwerben können. Die sozialen Transfers an Familien würden diese Belastung „nicht annähernd aufwiegen“.

Als wäre dies nicht schon genug für die Political Correctness, zogen die Ökonomen auch noch folgenden Schluss: Um diese Schieflage zu ändern, sollte die Zahl der Kinder direkt in die Pensionsberechnung einfließen. Erst ab drei oder mehr Kindern solle es noch eine volle Pension geben. Wer weniger Nachwuchs zeugt, müsse verstärkt selbst vorsorgen.

Mehr hatte es nicht gebraucht, um einen Aufschrei der Empörten zu erzeugen. Zum Teil haben die Kritiker zwar recht: So soll sich der Staat so weit wie möglich aus der konkreten Familienplanung heraushalten. Ein direkter Konnex zwischen Zahl der Kinder und Pensionshöhe ist also abzulehnen. Denn schlussendlich könnte eine Orwell'sche Horrorvision stehen, in der Frauen, die keine Kinder bekommen können, beim Amtsarzt der Pensionsversicherung Atteste abgeben müssen.

Doch auch wenn die vorgeschlagene Therapie falsch ist, ändert das nichts an der Richtigkeit der Diagnose: Die Pensionen von morgen werden von den Kindern von heute gezahlt. Kinderlose profitieren also vom Nachwuchs anderer Leute. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass viele Menschen nicht aus Egoismus kinderlos bleiben, sondern es medizinische Probleme gibt oder sich einfach nicht der richtige Partner gefunden hat. Und das ist in einem System, in dem die Zahler ständig weniger und die Empfänger mehr werden, ein großes Problem. So zeigten in der Vorwoche neue Zahlen der Statistik Austria erneut einen deutlichen Rückgang bei der Kinderzahl.

Das Problem muss aber im bestehenden System gelöst werden. So führt angesichts steigender Lebenserwartung kein Weg an der Anhebung des Pensionsantrittsalters vorbei. Dieses sollte automatisch an die Lebenserwartung gekoppelt werden, auch wenn dies von Gewerkschaft und Pensionistenvertretern dank tausender Wählerstimmen im Rücken seit Jahren verhindert wird. Dass auch die Chancen Älterer auf dem Arbeitsmarkt erhöht gehören (andere Lebenslohnkurven), versteht sich von selbst.

Was bleibt, ist das Problem der zu geringen Kinderzahl. Und auch wenn sich der Staat direkt aus der Nachwuchsplanung heraushalten soll, kann er seinem Interesse am Erhalt bestimmter gesellschaftlicher Strukturen natürlich etwa mit Steuererleichterungen für Familien sehr wohl nachhelfen. Auch hier dürften die Studienautoren recht haben. So weiß zwar jeder, der Kinder hat, dass sie etwas geben, das mit Geld nicht aufgewogen werden kann. Dennoch bedeuten sie laut Studien eine finanzielle Belastung von bis zu 30 Prozent des Budgets kinderloser Paare (pro Kind). Und diese Kosten machen bestehende Transferleistungen nicht wett.

Doch Geld allein macht keine Kinder. So liegen zwar Länder mit höherer Fertilitätsrate wie Schweden und Frankreich auch bei den relativen Ausgaben für Familien vor uns. Dennoch ist Österreich im vorderen Mittelfeld, was die hierzulande auf „Aussterben“ gestellte Rate von 1,4 Kindern pro Frau nicht erklären kann. Die Erklärung findet sich in einer OECD-Studie: So liegt Österreich nicht nur bei der Zahl geborener Kinder ganz hinten, auch die gewünschter Kinder stellt mit 1,5 das absolute Schlusslicht aller Industrienationen dar. Es fehlt also nicht an den Voraussetzungen für mehr Kinder, sondern schlicht am Wunsch danach. Eigentlich sehr traurig.

E-Mails an: jakob.zirm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2013)

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