An der Substitutionstherapie sollten wir nicht rütteln

Es gibt keinen Grund, die Behandlung Suchtkranker mit Ersatzstoffen für eine andere Methode aufzugeben. Aber sehr wohl, die Art der Verschreibung zu ändern.

Österreich sieht sich ja gern als Vorreiter in Sachen Sonderwege. Bei der Sozialpartnerschaft etwa oder bei der Lehrlingsausbildung, um zwei international aus nicht immer nachvollziehbaren Gründen positiv besetzte Beispiele zu nennen. Zuletzt machte das Beharren auf dem österreichischen Sonderweg allerdings eher negative Schlagzeilen, nämlich beim Bankgeheimnis. Und in Wirklichkeit ist auch der österreichische Sonderweg bei der Behandlung Suchtkranker aus internationaler Perspektive äußerst zweifelhaft.

Dass nämlich ausgerechnet hier der Großteil der Drogenkranken, die eine Substitutionstherapie machen, ein – abgesehen von Bulgarien und Slowenien – international nicht zugelassenes Medikament verschrieben bekommt, ist nicht nachvollziehbar. 55 Prozent aller Patienten erhalten sogenannte retardierte Morphine – sie sind auch in Österreich nur für Ausnahmefälle vorgesehen, doch die verschreibenden Ärzte scheinen daraus die Regel gemacht zu haben.

Warum sie das machen? Nun, sie selbst argumentieren damit, dass die Patienten eine Therapie mit diesen Mitteln besser aushalten, weil die Wirkung des Präparats jener von Heroin ähnelt. Und dass man Süchtige damit eher zu einer Behandlung bewegen könnte. Auf der anderen Seite könnte man diese Art der Verschreibepraxis aber auch als kleine Gefälligkeit für die Suchtkranken interpretieren – um von diesen, sagen wir, teilweise verhaltensoriginellen Personen nicht allzu oft angebettelt zu werden. Und um einigen von ihnen auch das eine oder andere lukrative Nebengeschäft zu ermöglichen.

Denn die Präparate in Kapselform enthalten Morphium – und sind damit auch für den Verkauf auf dem Schwarzmarkt interessant. Im Jahr 2011 wurden 9.444.050 Kapseln dieser Substanz verschrieben – diese Menge enthält 1868 Kilogramm des Wirkstoffs Morphin. Selbst wenn nur eine kleine Menge davon auf dem Schwarzmarkt landet, lässt sich damit einiges an Geld machen. Wie viele der Tabletten tatsächlich den Weg von der Apotheke in die Venen von Süchtigen finden, das lässt sich zahlenmäßig nur schwer belegen. Das Argument von Wiens Drogenkoordinator Michael Dressel, dass gerade einmal 0,14 Prozent auf dem Schwarzmarkt landen, ist jedenfalls sehr optimistisch. In Wirklichkeit handelt es sich bei dieser Menge lediglich um die bei Aufgriffen sichergestellte Menge. Was ein Ertappter vorher auf den Markt geworfen hat, ist darin nicht enthalten. Und all jene, die gar nicht erst beim Dealen mit Drogenersatzstoffen erwischt werden, fallen komplett aus der Statistik. Und noch ein weiteres Indiz spricht dafür, dass der österreichische Sonderweg nicht unbedingt der erfolgversprechendste ist: Die Zahl der Drogentoten in Österreich nahm in den vergangenen Jahren trotz Substitutionstherapie zu. In Deutschland, wo die Patienten keine retardierten Morphine bekommen, ist sie deutlich zurückgegangen.


Sind die aktuellen Zahlen nun ein Indiz dafür, dass die in Österreich durchgeführte Substitutionsbehandlung ein Irrweg ist? Mitnichten. Denn die Therapie selbst hat unbestreitbare Vorteile. Schon allein das Gesundheitssystem spart damit massiv Kosten – jeder in die Behandlung investierte Euro bringt indirekt Einsparungen von zwölf Euro, die man dann eben nicht für Haft, Krankheits- oder aufwendigere Therapiekosten aufwenden muss. Sie verringert das Leid für Suchtkranke und ihre Angehörigen, ermöglicht eine gute Betreuung der Suchtkranken, macht sie von der illegalen Beschaffung von Suchtmitteln weitgehend unabhängig und kann damit auch ein Abgleiten in die Kriminalität unterbinden.

Es wäre also fatal, der populistischen Versuchung zu erliegen und das bewährte System „Therapie statt Strafe“ grundsätzlich infrage zu stellen. Sehr wohl hinterfragen sollte man allerdings, warum die Verschreibepraxis der Ärzte hierzulande so völlig anders ist als jene in so ziemlich allen anderen Ländern der Europäischen Union – und warum die Zahl der Drogentoten trotz (oder wegen) dieses Sonderwegs nicht gesunken, sondern sogar gestiegen ist. Was genau ist nun also das Besondere am österreichischen Modell? Außer der alten Tradition, dass wir eben gern Vorreiter in Sachen Sonderwege sind.

E-Mails an: erich.kocina@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2013)

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