Serbiens EU-Perspektive zu Unzeiten

Mit dem Beitrittsköder hat die EU-Außenpolitik im Kosovo-Konflikt einen Erfolg erzielt. Jetzt rächt es sich, dass es zur Vollmitgliedschaft keine Alternative gibt.

Es ist so einfach, sich hinter scheinbar unlösbaren Konflikten zu verstecken. Im Dezember haben führende EU-Politiker einen baldigen Start von Beitrittsverhandlungen mit Serbien noch ausgeschlossen. Solange der Kosovo-Konflikt nicht gelöst sei, gebe es keine Gespräche, war der einhellige Tenor von Jean-Claude Juncker bis Angela Merkel. Diese Vorbehalte erinnerten an die Argumentation zu den blockierten Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Auch da wurde und wird stets betont, dass es ohne Lösung der Zypern-Frage keinen Fortschritt geben könne. Es sind Hindernisse, die vielen zupasskommen. Denn eine neuerliche Erweiterung ist derzeit kaum mehrheitsfähig. Zu groß sind die internen Probleme der EU.

Am Fall Serbien wird nun offensichtlich, was geschieht, wenn solche Hindernisse als Argument wegfallen: Mit dem Köder von Beitrittsverhandlungen hat EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton einen Durchbruch im Kosovo-Konflikt erzielt. Jetzt steht die EU innenpolitisch vor einem fast noch größeren Problem. Denn sie muss dieses Versprechen einlösen.

Viele politische Kräfte in den Mitgliedstaaten möchten der Erweiterung auf dem Westbalkan Grenzen setzen. Einzig in Österreich treten alle wesentlichen Parteien – sogar die FPÖ – für einen Beitritt Serbiens ein. Dafür gibt es gute Argumente, wie etwa die Stabilisierung der gesamten Region und die engen wirtschaftlichen Verflechtungen mit heimischen Unternehmen. Doch selbst diese guten Gründe schaffen es kaum, die schlechten Erfahrungen mit Rumänien und Bulgarien zu übertünchen. Beide Länder sind zu früh in die EU aufgenommen worden.

Serbien hat unter der Regierung Dačić' erste Erfolge im Kampf gegen die organisierte Kriminalität erzielt. Das Land liegt im Korruptionsranking von Transparency International dennoch auf Platz 80 von 176 Ländern – hinter Tunesien, Sri Lanka und knapp vor El Salvador. Eine Umfrage der Wirtschaftskammer bei Geschäftsführern österreichischer Unternehmen in Serbien zeigt jüngst ein desillusionierendes Bild. 75 Prozent bezeichnen die Wirtschaftssituation im Land als „schwierig und herausfordernd“. Jeder Vierte im Land ist arbeitslos. Auch wenn der Westbalkan noch ein Potenzial an Wachstum hat. Derzeit grundeln die Länder inklusive Serbien auf niedrigem Niveau dahin.

Jetzt rächt es sich, dass die EU nie eine Alternative zu Vollbeitritten entwickelt hat. Es gibt keinen befriedigenden Zwischenschritt, wie er für die Türkei mehrfach an-, aber nie zu Ende gedacht wurde. Das Modell einer privilegierten Partnerschaft mit einer vollen Teilnahme am Binnenmarkt hätte schon für Länder wie Rumänien und Bulgarien seinen Charme gehabt – vielleicht sogar für die Schweiz oder in Zukunft für Großbritannien.

Das Fehlen von Zwischenschritten oder Alternativen macht mitten in der Krise die Erweiterungsperspektive für Serbien zu einem fast unlösbaren Entscheidungsproblem. Die Geduld der Bevölkerung bei politischen Kraftakten der EU ist ausgereizt. Aus währungspolitischer Sicht war es notwendig, in der Finanz- und Schuldenkrise zusammenzustehen. Jetzt soll aus außenpolitischer Sicht wieder ein solcher Kraftakt mitgetragen werden. Das geht für viele EU-Bürger an die Grenzen des Fassbaren.

Dennoch: Die Aufnahme Serbiens – auch wenn sie erst in zehn Jahren erfolgen kann – ist logischer, als dieses Land gemeinsam mit seinen Nachbarländern Albanien, Montenegro, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo für immer zu isolieren und in neue nationalistische Selbstfindungsprozesse zu treiben. Selbst jene Vorbehalte, die derzeit zu Recht geäußert werden, können dadurch umgekehrt werden. So machen es erst Beitrittsverhandlungen mit Schlüsselländern wie Serbien möglich, der organisierten Kriminalität, der Korruption, dem Schlepperwesen auf dem Westbalkan einen Riegel vorzuschieben. Die EU-Bevölkerung, die eine solche Erweiterung mittragen muss, hat gerade in diesen Unzeiten der Erweiterung ein Recht darauf, dass diesmal mit aller Konsequenz und Härte verhandelt wird – kompromisslos im Sinne der gemeinsamen Wirtschaft, aber auch im Sinne der individuellen Sicherheit.

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2013)

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