Sonntagsredner Barack Obama enttäuscht an allen Fronten

Die Aufbruchstimmung für eine zweite Amtszeit ist verpufft. Gleich zwei Skandale nagen an dem Präsidenten, die ihn wie einen altbackenen Politiker aussehen lassen.

In den US-Colleges ist dieser Tage wieder die Zeit der „Commencement Speeches“ angebrochen, der Abschluss- und Motivationsreden, mit denen die Studenten ins Berufsleben entlassen werden. Keiner ist als Redner so begehrt wie der Präsident selbst, der für seine salbungsvollen Ansprachen gleich den höchsten Lorbeer – den Friedensnobelpreis – erhalten hat.

Also sprach Barack Obama in der vorigen Woche dem Abschlussjahrgang an der State University of Ohio in Columbus Mut zu. Und in einem Monat wird es ihm auch nicht an hehren und schönen Worten mangeln, wenn er in Berlin in die Fußstapfen John F. Kennedys treten wird. In Columbus probte er bereits mit einem JFK-Zitat, einem „Klassiker“ von ewiger Gültigkeit: „Die Probleme sind von Menschen verursacht, und der Mensch kann sie auch lösen.“

Dabei müsste er sich jetzt einmal dringend selbst anfeuern. Die Aufbruchstimmung seines Wahlsiegs vor einem halben Jahr ist verpufft, die Initiative für die virulente Verschärfung des Waffengesetzes vorerst gescheitert, die Immigrationsreform steckt fest. Auch in der Außenpolitik, in der er eigentlich in einer zweiten Amtszeit freie Hand haben sollte, rührt sich nichts vom Fleck: In der Syrien-Frage wartet die Welt auf einen Wink aus Washington. Beinahe hilflos wirkte der Präsident, als er neulich die Schließung des ominösen Gefangenenlagers Guantánamo einforderte. In Wirklichkeit setzt der Nachfolger George W. Bushs – in mancherlei Hinsicht abgemildert – just dessen Politik fort, der Drohnenkrieg tobt sogar noch heftiger, wie Menschenrechtsorganisationen anprangern.

Über Obama ist vorzeitig und doch recht überraschend jener Blues hereingebrochen, der noch jeden US-Präsidenten der jüngeren Geschichte in der zweiten Legislaturperiode ereilt hatte: Richard Nixon und der Watergate-Skandal, Ronald Reagan und die Iran-Contra-Affäre, Bill Clinton und die Monica-Lewinsky-Eskapade. Dass die Republikaner in ihrer Blockadepolitik – von der Budgetdebatte bis zu sozialen Fragen – lockerlassen, wäre ein fataler Trugschluss, wie er längst selbst bemerkt hat. Im Gegenteil, die Opposition hat wieder Blut geleckt. Und auf den medialen Rückhalt sollte er lieber auch nicht mehr setzen – jetzt, da gleich zwei Affären wie ein Wirbelsturm über das Weiße Haus hereinbrechen und die Polit-Kaste in der Hauptstadt quasi im Reflex von einem neuen Watergate raunt. Der Präsident ist drauf und dran, es sich mit den Medien zu verscherzen.


Da wäre der Skandal um die Finanzbehörde IRS, die besonders emsig die Tea-Party-Gruppen ins Visier genommen hat. Dass Beamte des Finanzministeriums vornehmlich die Anti-Steuer-Fundamentalisten aufs Korn nahmen, lässt sogar manche Demokraten aufheulen. Dass dies ohne Weisung von oben geschah, erscheint nicht glaubhaft. Obama empörte sich zwar darüber, die Fakten riechen allerdings verdächtig nach Revanchismus gegenüber einer Gruppierung, die den Furor gegen die Obama-Regierung von Anfang an auf ihre Banner geschrieben hat.

Die unerhörte Abhöraktion gegen Journalisten der Nachrichtenagentur AP wiederum zielte nicht auf Informationen über einen möglichen al-Qaida-Angriff aus dem Jemen, sondern auf ein „Leck“ in Regierungsstellen – auf undichte Stellen, die Geheimnisse ausplauderten. Vorerst rückt Justizminister Eric Holder ins mediale Schussfeld, die Bespitzelung wird indes an Obama hängen bleiben – selbst wenn er zu einem Befreiungsschlag ausholt: dem Rücktritt Holders. Das Trommelfeuer wird in den kommenden Wochen und Monaten nicht nachlassen. Barack Obama gleicht immer mehr jenem Typus des altbackenen Politikers, gegen den er einst mit großer Verve zu Felde zog.

Binnen Kurzem hat der Präsident zwei mächtige Gruppen gegen sich aufgebracht – ob selbst verschuldet oder nicht. Daraus spricht eine Hybris, die Obama nicht fremd ist. Statt mit Elan für eine zweite Amtszeit ans Werk zu gehen, hat Obama seine Energie fehlgeleitet und Enttäuschung hinterlassen. Gut möglich, dass die mit Vorschusslorbeeren überhäufte Galionsfigur vorzeitig zur „lame duck“ verkommt, wie Steven Spielberg in einer Persiflage beim Korrespondenten-Dinner orakelte: „Der Kerl ist schon jetzt eine lahme Ente.“

E-Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2013)

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