Frankreich auf dem Pannenstreifen

François Hollande ist mit seiner linkspopulistisch lavierenden Einschläferungstaktikgrandios gescheitert. Er hat Frankreich in seinem ersten Amtsjahr als Präsident weiter geschwächt.

Europa hat ein Problem. Es trägt den Namen François Hollande. In der zweitgrößten Volkswirtschaft der EU regiert ein Präsident, der seiner Aufgabe nicht gewachsen ist. So klar und unbarmherzig sieht es die unmittelbar betroffene Bevölkerung: Satte drei Viertel der Franzosen bewerten die Arbeit ihres Staatsoberhaupts negativ. In nur einem Jahr ist dem sozialistischen Zauderer aus Tulle das Kunststück gelungen, sowohl die Rechte als auch die Linke gegen sich aufzubringen.

Er hätte etliche sinnvolle Optionen gehabt, sich bei den Franzosen unbeliebt zu machen. Doch Reformen sind nicht Hollandes Metier. Der einschläfernde Anti-Sarkozy lavierte – und verscherzte es sich mit allen. Er blinkte ausgiebig links, dann mal kurz rechts, Orientierung aber konnte das flackernde Irrlicht im Élysée-Palast nie geben, auch wenn sich das Faymann & Co. noch so gewünscht hatten. Mittlerweile hält sich die Pariser Regierung vorwiegend auf dem Pannenstreifen auf, und die panisch aufleuchtende Warnblinkanlage beunruhigt ganz Europa. Hollande war gleich zu Beginn ein Gefangener seiner eigenen unsinnigen Wahlversprechen. Während sich im Rest Europas langsam die Erkenntnis durchsetzt, dass wohl alle etwas länger arbeiten müssen, um den Sozialstaat aufrechterhalten zu können, steuert der sozialistische Geisterfahrer seelenruhig in die Gegenrichtung: Er senkte das Pensionseintrittsalter, das sein konservativer Vorgänger Sarkozy nach mühsamen Konflikten auf 62 Jahre angehoben hatte, teilweise tatsächlich wieder auf 60. Und Monsieur le Président machte sich allen Ernstes daran, für Einkommen ab einer Million Euro eine Reichensteuer von 75 Prozent einzuführen, bevor ihn das Verfassungsgericht stoppte. Mit seinem billigen Wahlgag erreichte er bloß, dass Geld aus Frankreich abfloss. Umso peinlicher war es, als aufflog, dass Hollandes Haushaltsminister Steuern hinterzogen hatte. Die häufig unkoordiniert wirkende Regierung ist seither auch moralisch angepatzt.

Die Diagnose ist schon länger bekannt, sie lautet: Franko-Sklerose. Die ökonomischen Muskeln Frankreichs erschlaffen. Eine Radikalkur ist nötig. Das Land muss seine Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen, die Produktivität steigern, den Arbeitsmarkt entfesseln, Schulden abbauen, die erdrückend hohe Staatsquote senken. Frankreich hat mindestens 20 Jahre lang Reformen verschlafen und braucht deshalb einen Präsidenten, der anpackt, kein Traummännlein.

Frankreichs Sozialisten hingegen wollen weiter wegschauen und die Verantwortung abwälzen. In einem Parteipapier wetterten sie neulich gegen die Austeritätspolitik und „eigennützige Unnachgiebigkeit“ der deutschen Kanzlerin. Doch Hiebe auf Deutschland werden Frankreich nicht helfen, auch nicht der Ruf nach einer EU-Wirtschaftsregierung und nach Eurobonds, den der glücklose Präsident zum Jahrestag seines Amtsantritts erneuert hat. Warum sollten Bürger aus Staaten mit halbwegs intakter Haushaltsdisziplin und gesunder Wirtschaftsstruktur zusehen, wie ihr Steuergeld in französischen und anderen Budgetlöchern verschwindet?

Frankreich wird nicht umhinkommen, sich zu erneuern. Hollande hat bisher nur Zeit verschwendet.



christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2013)

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