Sicherheit: Der Preis, den wir zahlen, wird immer höher

Der US-Geheimdienst NSA hält sich also eine Kontaktstelle in Wien. Wir unterstellen, dass beide Seiten von der Zusammenarbeit profitieren werden.

Dass uns ein US-Beamter in Washington (oder anderswo) beim Verfassen und Lesen von E-Mails oder Aufrufen von Internetseiten gewissermaßen über die Schulter sehen kann, darf mittlerweile als bekannt vorausgesetzt werden. Auch noch in vielen Jahren gewissermaßen im Rückspiegel. Selbst wenn wir uns in einen Bunker oder – besser – Weinkeller zurückziehen und eine blickdichte Decke über den PC werfen. Anonymität war vorvorgestern.

Spätestens seit dem jüngsten EU-Brief an US-Justizminister Eric Holder mit der Bitte um Aufklärung über den Einsatz des US-Überwachungsprogramms Prism und die Verwendung der dadurch gewonnenen Daten zittern Barack Obama und Co. Tun sie das tatsächlich? Werden die unter George Bush nach 9/11 (mit großer Mehrheit, natürlich auf lupenreinem demokratischen Weg) geschaffenen gesetzlichen Regeln, die diese Form der Beinahe-Totalüberwachung legalisieren, unter Obama nun auf öffentlichen Druck aus dem nicht nur geografisch sehr fernen Europa geändert oder gar abgeschafft? Wohl kaum.

„Dutzende Terrorattacken“ in den USA und anderswo seien durch die Verwendung dieses Instruments verhindert worden, sagt Keith Alexander, der Chef des militärischen Geheimdienstes NSA wie als Antwort darauf vor einem Senatsausschuss nicht ohne Selbstbewusstsein. Washington liest und hört zum Wohle seiner Bürger sicherheitshalber mit. Punkt. In einem „Krieg“, wie die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus von US-Seite definiert wird, gelten eben eigene Regeln. Der Erfolg rechtfertigt die gewählten Mittel, heißt es.

Neu ist, dass womöglich auch Wien mitliest. Österreichs geheimster Geheimdienst ist der NSA zu Diensten, der Nachrichtendienst des Bundesheeres. Denn: Die NSA kooperiert mit den Kollegen in Wien, wie nun bekannt wird. Natürlich, Nachrichtendienste müssen kooperieren. Es gehört geradezu zu ihrer Kernaufgabe, mit anderen, als befreundet identifizierten Staaten den Austausch von Informationen zu pflegen. Alles andere wäre Chuzpe. Wer dieses Faktum schon problematisch findet, sollte sagen, dass er in einem modernen demokratischen Staat generell für Nachrichtendienste keine Notwendigkeit sieht. Niemand wird dies ernsthaft behaupten dürfen.

Das Befriedigen des Bedürfnisses nach Sicherheit, körperlicher und seelischer Unversehrtheit der Person gehört zu den höchsten Gütern demokratischer Staaten. Genauso wie das Gewähren eines Höchstmaßes an Freiheit. Nicht selten gibt es zwischen beidem einen nicht unbedeutenden Zielkonflikt. Ein Mehr an Freiheit kann mit einem Weniger an Sicherheit einhergehen. Und – genau, wir sind beim Punkt – umgekehrt gilt das mindestens genauso.


Möglich, dass das Tempo des Entwickelns und Perfektionierens technischer (digitaler!) Möglichkeiten der Überwachung der schutzbedürftigen Bürger mit dem Grad der Gefährdung gerade noch mithalten kann. Oder eben nicht: Weil die Wahrscheinlichkeit terroristischer Angriffe rascher größer wird. Oder – immerhin auch nicht auszuschließen – weil die technischen Möglichkeiten den realen Bedrohungen „davonlaufen“. Und gleichzeitig die Nachrichtendienste dieser Welt mit ihrem systemimmanenten Hang zum Verfolgungswahn die real ja existierenden Bedrohungen eher groß- als kleinreden.

Sicher ist: Der Preis, den wir Bürger für die Aufrechterhaltung der Sicherheit zahlen müssen, wird sukzessive immer höher. Was vor wenigen Jahren als undenkbar galt, technisch, aber auch politisch im Sinne von Einschränkungen der Bürgerfreiheit, geht heute als State of the Art durch. Das Ausbalancieren zwischen Sicherheit und Freiheit wird immer schwieriger.

Militärs, militärische wie zivile Nachrichtendienste oder Sicherheitsbehörden verfügen im Kampf gegen Terroristen mittlerweile über ein prall gefülltes Arsenal mehr oder weniger smarter Waffen wie nie zuvor. Ähnliches gilt wohl auch für die Gegenseite. Und wir? Wir hoffen, dass nichts passiert. Und wollen es gar nicht so genau wissen, weshalb nichts passiert. Hauptsache, es passiert nichts.

E-Mails an: dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2013)

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