Genug, Cavaliere: Schickt Berlusconi endlich in Pension!

Mit Peinlichkeiten, Possen und Affären hat Silvio Berlusconi Italien zwei Jahrzehnte lang in Geiselhaft genommen. Politik, Wirtschaft und das Image haben gelitten.

Silvio Berlusconi verfolgte das jüngste Justizschauspiel passenderweise aus seiner herrschaftlichen Villa Arcore bei Mailand, wo er wie ein Renaissancefürst logiert. Just dort also, wo die Bunga-Bunga-Partys über die Bühne gingen. Die peinlichen Exzesse um Ruby und die anderen Callgirls, die in karnevalesker Kostümierung den damaligen Premier und seine Amici bei Laune gehalten hatten, standen zur gleichen Zeit im Mailänder Justizpalast zur Causa. Italien und die Welt staunte wieder einmal über die Eskapaden des inzwischen 76-jährigen Cavaliere – und auch über die Funktionstüchtigkeit und Widerstandskraft einer Justiz, die sich von Drohgebärden nicht einschüchtern lässt.

Wieder einmal – zum wievielten Mal eigentlich? – saßen die Damen und Herren in den schwarzen Roben zu Gericht über den Bau- und Medientycoon, der im Zuge des Kollapses der Nachkriegsordnung vor bald 20 Jahren, von „Tagentopoli“ und „Mani pulite“, unversehens zum Polit-Shootingstar avancierte: ein Pfau und Parvenu, der seither das ganze Land mit seinen Machenschaften in Geiselhaft genommen hat; der Italien mit seinem System der Patronage und der Korruption überzogen hat, wie Tentakel, der Mafia gleich; zusammengehalten weniger durch eine übergeordnete rechtskonservative Ideologie, sondern durch Hurra-Patriotismus („Forza Italia“) und Fußballleidenschaft.

Zum Verhängnis sollten Berlusconi indes nicht die Serie an Korruptionsaffären, die Skandale um Steuerhinterziehung werden, sondern seine privaten Vorlieben fürs Halbseidene – vor allem sein wenig kavalierhaftes Faible für die minderjährige Ruby Rubacuori, die aus Marokko stammende, vollmähnige „Herzensbrecherin“, die den geilen Lüstling vollends um den Verstand brachte. Phasenweise gefielen einer Mehrheit der Italiener der Radau und die derbe Spaßkultur, für die der ehemalige Schlagersänger bürgte. Dreimal wählten sie ihn in den Palazzo Chigi, den Amtssitz des Premierministers. Und ebenso oft jagten sie ihn wieder davon. Doch das Stehaufmännlein der italienischen Politik kehrte zurück, jedes Mal noch eine Spur unverschämter als zuvor.

Gäbe die Berlusconi-Vita nur die Vorlage ab für eine überdrehte Polit-Posse in der Manier eines Nanni Moretti oder eines Roberto Benigni, wäre sie ja noch durchaus amüsant. So aber bildet sie die Realität ab: Sie symbolisiert den Abstieg Italiens, den Niedergang einer Wirtschaftsmacht, die politische Verkrustung und Erstarrung – die sich im Übrigen im Gesicht des von Schönheitsoperationen entstellten, narzisstischen Ex-Premiers widerspiegelt, der stets mehr als Playboy agierte denn als Politiker.

Und der dabei immer sein eigenes Wohl im Auge hatte. Sein Vermögen hat er reichlich vermehrt, sein Medienimperium florierte dank mangelnder staatlicher Kontrolle. In jeder anderen parlamentarischen Demokratie westlichen Zuschnitts wäre ein derartiges Geflecht Hinderungsgrund für eine Polit-Karriere. Manche sagen dem Schützling des ehemaligen sozialistischen Ministerpräsidenten Bettino Craxi auch nach, er sei nur darum in die Politik gewechselt – mit dem Nebeneffekt, dass ihn die Immunität vor Nachstellungen der Justiz schützte.


Schlimm genug, dass Berlusconi als Ministerpräsident im Ausland zur Witzfigur geworden ist; so sehr, dass Italophile mit wachsender Bestürzung fragen, was in die Italiener gefahren sein mag, für einen Blender wie Berlusconi zu stimmen. Weitaus schlimmer ist allerdings, dass dessen Stil und die politische Unkultur auf das viel besungene Sehnsuchtsland Arkadien abgefärbt haben. Das Land, in dem die Zitronen blühen, ist mittlerweile selbst ganz sauer geworden, verfault durch Machinationen der Mafia und einer zynischen Polit-Kaste.

Es ist eine Tragödie, dass Rom nicht von Berlusconi loskommt; dass der Populist es nach wie vor vermag, über jede Koalition den Daumen zu heben oder zu senken. Es ist höchste Zeit, dass sich Italien von ihm lossagt. Er steht einer dringenden Neuerung im Weg. Jede altgediente Demokratie Europas hätte Berlusconi längst zum Rücktritt gezwungen. Das jüngste Gerichtsurteil sollte endlich Anlass sein, ihn aufs Altenteil zu schicken – ohne Option auf ein Comeback.

E-Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2013)

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