Wo das kriselnde Europa noch immer Friedensmotor ist

Die Aussicht auf einen EU-Beitritt brachte Südosteuropa auf Reformkurs. Um attraktives Friedensprojekt zu bleiben, muss die EU ihre Hausaufgaben machen.

Es hat Beitritte gegeben, die viel euphorischer gefeiert wurden – sowohl im neuen Mitgliedsland als auch in den EU-Staaten, die den weiteren Partner in ihrer Mitte aufnahmen. Wenn am Montag Kroatien als 28. Mitglied zur Europäischen Union stößt, werden zwar in Zagreb die Sektkorken knallen und Menschen in den Straßen jubeln. Doch die Feierstimmung ist getrübt. Und das hat nur zum Teil mit Kroatien selbst zu tun. Dem Großteil der Kroaten ist klar, dass die Zukunft ihres Landes nur in einem vereinten Europa liegen kann. Doch – mehr noch als bisherigen Neuankömmlingen – ist ihnen auch klar, dass mit dem Beitritt nicht über Nacht paradiesische Zustände einkehren werden. Den Nimbus „Paradies“, der ohnehin nie viel mit der Realität zu tun hatte, hat die Union längst verloren. Dafür hat spätestens die Wirtschaftskrise gesorgt, die viele der EU-Staaten erschüttert hat, und die verzweifelten Versuche, damit fertig zu werden – Krisenmanagement, das bisweilen der Fahrt auf einer Hochschaubahn glich.

Schon seit mehreren Jahren war die Willkommenskultur im Klub EU nicht mehr besonders ausgeprägt, war die Begeisterung für neue Mitglieder enden wollend. Die Krise hat das verstärkt. Nach dem Motto: Wir haben mit uns selbst schon genug Schwierigkeiten. Wir brauchen nicht noch weitere potenzielle Problemkinder. Die Einsicht, beim Eurobeitritt Griechenlands nicht darauf geachtet zu haben, ob das Land tatsächlich alle Voraussetzungen erfüllt, spielt dabei eine Rolle – ebenso wie die Einsicht, Rumänien und Bulgarien wohl zu früh in die Union aufgenommen zu haben. Dass die Krise nicht eine Krise der Neuzugänge ist, sondern im Herzen der Stammmitglieder wütet, mindert freilich nicht die Skepsis gegenüber Neo-Mitgliedern.

Das alles lässt den Empfang für Kroatien in der Union eher kühl ausfallen. Und viele Sorgen wegen des südosteuropäischen Landes sind nicht unbegründet. Die Wirtschaftszahlen Kroatiens sind alles andere berauschend, Korruption und Vetternwirtschaft nach wie vor allgegenwärtig. Doch in Zagreb wurden zum Teil auch harte Konsequenzen gezogen: Dass etwa mit Ivo Sanader ein ehemaliger Regierungschef zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt worden ist, zeugt von einem kompromisslosen Vorgehen, an dem sich viele „alte“ EU-Staaten ein Beispiel nehmen könnten.

Der lange und schwierige Weg Kroatiens in die Union zeigt auch etwas anderes auf: Trotz aller internen Probleme wird die EU in Südosteuropa noch immer einer ihrer Grundideen gerecht. Sie funktioniert als politisches Friedensprojekt. Ohne Aussicht auf einen EU-Beitritt hätte Kroatien wohl nicht in diesem Maß Reformen durchgeführt, offene Fragen mit dem Nachbarn Slowenien geklärt, nach einem Ausgleich mit dem einstigen Kriegsgegner Serbien gesucht und sich weit weniger den eigenen dunklen Flecken seiner jüngsten Kriegsvergangenheit gestellt.

Dasselbe gilt auch für die anderen südosteuropäischen Länder, die sich noch in der EU-Warteschlange anstellen: Dass Serbien und der Kosovo jetzt unter der Ägide der EU ein Abkommen geschlossen haben, wäre kaum vorstellbar, wollten nicht beide Fortschritte auf dem Weg in die Union machen. Die lange gesuchten serbischen Kriegsverbrecher, Radovan Karadžić und Ratko Mladić, wären wohl noch immer freie Männer. Und der Konflikt in Mazedonien zwischen Mazedoniern und der albanischen Volksgruppe hätte vor Jahren nicht so rasch beendet werden können – und wäre vielleicht schon wieder voll ausgebrochen –, gäbe es da nicht das alle in Mazedonien einende große Ziel: den Beitritt zur Europäischen Union.

Die EU muss natürlich peinlich genau darauf achten, dass die künftigen Mitglieder tatsächlich alle Kriterien für einen Beitritt erfüllen. Denn damit wird der nötige Reformprozess in Südosteuropa am Leben erhalten. Und damit verhindert die Union, Staaten aufzunehmen, die dafür nicht reif sind. Zugleich müssen die „alten“ EU-Staaten ihre Hausaufgaben bei der Bewältigung der Krise machen – um die Union noch stärker als bisher auch als attraktives Friedensprojekt positionieren zu können. Dann werden künftige Beitritte wieder euphorischer gefeiert werden.

E-Mails an: wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2013)

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