Sündenbock und Angriffsziel: Den Deutschen reicht es bald

Suendenbock Angriffsziel Deutschen reicht
Suendenbock Angriffsziel Deutschen reicht(c) EPA (Ole Spata)
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Zynische US-Schnüffler, spottende Banker und Südeuropäer, die drohend ihre leeren Hände ausstrecken: Deutschland fühlt sich ungeliebt. Kein gutes Zeichen.

Es war eine schöne Rede, die Barack Obama vor Kurzem am Brandenburger Tor hielt. Aber ein wenig enttäuscht waren die Gastgeber doch. Denn anders als damals bei Kennedy fehlten die umarmenden Worte in bemühtem Deutsch. Nein, der US-Präsident ist kein „Bearleener“. Er ahnte wohl, wie hohl jede Anbiederung schon bald hätten klingen müssen, nach immer neuen Enthüllungen über die schamlose Totalüberwachung von Kommunikationsdaten durch seinen Geheimdienst. Die Deutschen wissen nun, dass sie für Amerika ein „Partner dritter Klasse“ sind, ein „Angriffsziel“ für Datenattacken, und dass es die NSA auf kein europäisches Land nur annähernd so abgesehen hat wie auf ihres. Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger fühlt sich „an das Vorgehen unter Feinden während des Kalten Krieges“ erinnert. Man kann es ihr nicht verübeln.

Freilich würde der Bundesnachrichtendienst liebend gern die Kontaktnetzwerke und Bewegungsdaten von Ausländern so hemmungslos „screenen“ wie die Amerikaner, wenn er nur die Mittel dafür hätte. Also assistiert er und tauscht sich mit den US-Kollegen durchaus freundschaftlich aus. Was aber bei den Deutschen hängen bleibt, ist das Wesentliche für ihre aktuelle Grundbefindlichkeit: „Partner dritter Klasse“ und „Angriffsziel“. In dieses Bild fügen sich auch die Manager der Anglo Irish Bank, die ihren frohlockenden Spott über die Spendierfreudigkeit von Europas Zahlmeistern durch Abgrölen von „Deutschland, Deutschland über alles“ am Telefon kundtaten und sich dabei vor Lachen krümmten (nein, das wissen wir nicht von der NSA). Kanzlerin Merkel hat für sie „nur Verachtung übrig“. Man kann es ihr nicht verübeln.

Aber das ist gefährlich viel Wasser auf die mentalen Mühlräder vieler Deutschen. Wir zahlen für die anderen und werden dafür gehasst oder ausgelacht: So murren sie immer vernehmlicher in Biergärten, Schützenvereinen und der „Bild“-Redaktion. Natürlich denken sie dabei zu kurz und zu populär. Aber man kann ihnen auch das nicht verübeln. Denn wenn Politiker in Euro-Krisenstaaten „Solidarität“ fordern, meinen sie in Wahrheit meist: Gebt uns mehr Geld, aber mischt euch nicht ein, was wir damit machen. Das ist den deutschen Steuerzahlern nicht zu verkaufen. Allem Wahlkampfgetöse zum Trotz sind sich denn auch deutsche Politiker fast jeder Couleur einig, dass man Hilfen an Reformen binden müsse, nach jener Blaupause, die sich zu Hause bewährt hat. SPD und Grüne haben den Rettungsschirmen samt Auflagen zugestimmt. Und auch ihr „Schuldentilgungsfonds“ folgt, etwas großzügiger angelegt, diesem Muster.

Sicher kann man sich wünschen, wie der britische „Economist“, dass der „Hegemon wider Willen“ eine Führungsrolle übernimmt und die Eurozone mit einer „Aufbau Süd“-Agenda aus dem Schlamassel zieht. Sicher machen es sich die Deutschen zu leicht, wenn sie jede Verantwortung mit der Beschwörung ihrer dunklen Vergangenheit in alle Ewigkeit von sich weisen. Aber der Wunsch bleibt fromm und naiv. Denn dann müsste sich Europas führende Wirtschaftsmacht ja erst recht einmischen, mit Rat und Tat, mit Zuckerbrot und Peitsche konkrete Projekte steuern. So schnell könnte man gar nicht schauen, wie Merkel und Co. dann wieder das Hitlerbärtchen über den Lippen kleben hätten.

Dass sich die Deutschen unverstanden und ungeliebt fühlen, bleibt nicht ohne Wirkung. Sie waren lange überzeugte Europäer, aber auch Weltbürger, etwa wenn es um den Klimawandel ging. Nun besteht die Gefahr, dass sie sich auf eine nationale Agenda zurückziehen. Anzeichen dafür gibt es. Eine Anti-Euro-Partei, die es in den Bundestag schaffen könnte, war noch vor Kurzem undenkbar. Merkel, die ihr Fähnchen immer in den „Wind of Change“ gehalten hat, verhinderte soeben mit Brachialgewalt EU-Abgasnormen – nur um für BMW, Mercedes und VW die Siegerstraße noch breiter zu walzen. Statt „Vorsprung durch Technik“ gilt nun „Vorsprung durch Lobbying“.

Deutschland, Deutschland über alles: Das klingt wahrhaft schauerlich, nicht nur aus den Mündern grölender irischer Banker. Aber wenn wir es künftig wieder öfter hören müssen, dann hallt es nur als Echo.

E-Mails an: karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2013)

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