Ägyptens uniformierte Dilettanten

Ägyptens uniformierte Dilettanten
Ägyptens uniformierte DilettantenReuters
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Die Armee fährt Ägypten seit 1952 beharrlich in den Abgrund. Neuester Nachweis für ihren Mangel an Weitsicht ist der Militärputsch, mit dem sie das Land weiter polarisiert und radikalisiert.

Hat wirklich irgendjemand geglaubt, dass sich die Muslimbrüder ihren Präsidenten kampflos aus dem Spiel nehmen lassen? Ägypten stehen noch unruhige Zeiten bevor. Der „Freitag der Ablehnung“, an dem 30 Demonstranten starben, war erst der Anfang. Mohammed Badie, Chef der Muslimbrüder und überraschenderweise zunächst noch auf freiem Fuß, rief seine Anhänger in einer Brandrede auf, weiterzumarschieren, bis sein inhaftierter Gefolgsmann Mohammed Mursi wieder als Präsident eingesetzt wird. Und dabei machen die aufgewühlten Bärtigen mit ihren Schlagstöcken immer noch einen weitaus sanftmütigeren Eindruck als die Ansar al-Sharia, die den Militärcoup als Kriegserklärung gegen den Islam bezeichnet und nicht nur ihre Blitzgründung, sondern gleich auch die Eröffnung von Terror-Trainingscamps am Sinai bekannt gegeben haben.

Ägyptens engstirnige und intolerante Muslimbrüder haben in ihrem Jahr an der Macht kläglich versagt. Arbeitslosigkeit und Schulden stiegen, die Wirtschaft stürzte ab, die Touristen blieben aus, Benzin und Strom oft ebenso. Zudem erwies sich Mursi als unfähig, das Land zu einen. Gestärkt durch ihren Sieg an der Urne, vertieften die Muslimbrüder die Spaltung der Gesellschaft. Sie trieben ihre Agenda ohne Rücksicht auf Gemäßigte oder Kopten voran und peitschten ihre islamistisch gefärbte Verfassung in einem Referendum durch. Demokratie interpretierten sie als das Recht der Mehrheit, Minderheiten an den Rand zu drängen.

Der Putsch war trotzdem falsch. Einen gewählten Präsidenten mit Gewalt abzusetzen, zersetzt Demokratie und Recht. Die Armee gibt vor, im Sinn des Volkes zu handeln. Doch sie verschärft nur die Polarisierung. Warum sollten die Muslimbrüder bei der nächsten Wahl antreten, wenn sie doch wissen, dass ihnen der Sieg gestohlen wird? Wenn sie aber vom politischen Prozess ausgeschlossen bleiben, werden sie sich kaum mäßigen, sondern radikalisieren. Stabiler wird Ägypten dadurch nicht.

Die Armee hat in Ägypten seit 1952 fast ununterbrochen regiert oder hinter zivilen Kulissen die Fäden gezogen. In dieser Zeit haben sich die Militärs keineswegs durch ihre Weitsicht ausgezeichnet, sondern die Entwicklung des Landes gehemmt. Auch nach Mubaraks Sturz agierten sie unklug und stellten den Fahrplan falsch auf. Statt zuerst einen breiten Kompromiss für eine neue Verfassung herzustellen, ließen sie viel zu schnell Wahlen abhalten, die dann eben die Muslimbrüder gewannen. Umso erstaunlicher ist, wie viele Ägypter nun den uniformierten Dilettanten zugejubelt haben.

Die Optionen für das Land am Nil bewegen sich zwischen zwei Szenarien, dem türkischen und dem algerischen. In der Türkei formierten sich die Islamisten nach dem Armeeputsch gegen ihren Premier Necmettin Erbakan 1997 neu, fraßen Kreide und kehrten mit Recep Tayyip Erdoğan zurück an die Macht. In Algerien ging die Islamische Heilsfront Ende 1991/Anfang 1992 nach der Annullierung ihres Wahlsiegs in den Untergrund. Es folgte ein grausamer Bürgerkrieg mit bis zu 150.000 Toten. Das Schicksal Ägyptens hängt davon ab, ob die Muslimbrüder integriert und zivilisiert werden.

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2013)

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