Die sichere Hand bedient sich beim Mittelstand

Nicht die Einkommensschere geht in Österreich auseinander, sondern die Steuerschere. Nicht die Armut, sondern der Mittelstand tappt zusehends in die Falle.

Es gibt Politiker, die die Menschen mit sicherer Hand auf den Arm nehmen und durch die stürmischen Zeiten lotsen. Das ist zumindest das Bild, das sich einem dieser Tage landauf, landab präsentiert. Und in dieses Krisenidyll platzt nun eine Untersuchung der Statistik Austria, die sehr schön belegt, dass die Menschen in diesem Land ihr Schicksal sehr gut in die eigene Hand nehmen können. Dass sie weder jemanden brauchen, der sie bevormundet, noch auf jemanden warten, der ihnen aus der Patsche hilft. Kaum ein anderes Land in Europa weist eine so hohe Mobilität bei den Einkommen auf wie Österreich. Und das ist eine gute Nachricht. Denn es straft all jene Lügen, die fortwährend behaupten, dass die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden. Glücklicherweise ist der Mensch kein Gefangener seiner Umstände – oder zumindest viel seltener, als es einige wahrhaben wollen.

Gerade in den untersten Einkommensschichten gelingt der soziale Aufstieg oft, lautet die Kernaussage der Studie. Drei Viertel jener, die im Jahr 2000 in der niedrigsten Einkommensklasse lagen, schafften bis 2011 aus eigener Kraft eine eklatante Verbesserung ihres Einkommens. Es gibt nicht „die Armen“, und es gibt auch nicht „die Reichen“. Es sind Menschen, die eine Entwicklung durchmachen. Doch selbst in den Krisenjahren seit 2008 gelang vielen Menschen der Weg aus der sogenannten Armutsfalle.


Apropos: Wenn von den zwölf Prozent Armutsgefährdeten in Österreich die Rede ist, dann klingt das nicht nur viel, es ist für ein reiches Land auch viel zu viel. Allerdings sind es ja nicht immer dieselben Menschen. 40 Prozent schaffen es innerhalb eines Jahres, aus dieser Gefahrenzone zu gelangen, 70 Prozent sind nach zwei Jahren aus dem Gröbsten heraußen. Mit anderen Worten: Von verfestigter Armut kann nur in den wenigsten Fällen die Rede sein.

Die nun der „Presse“ exklusiv zur Verfügung gestellte Studie ist deshalb so interessant, weil sie zwar von der Industriellenvereinigung in Auftrag gegeben, aber von den Experten der Statistik Austria durchgeführt worden ist. Und Letztere stehen nicht gerade im Verdacht, in irgendwelchen obskuren neoliberalen Zirkeln zu verkehren. Ganz im Gegenteil.

So weit die gute Nachricht. Doch irgendwann kommt dann leider doch die sichere Hand der Politik ins Spiel. Nämlich spätestens dann, wenn die Leute den sozialen Aufstieg zwar brutto absolviert haben, ihnen aber davon netto so gut wie gar nichts übrig bleibt. Und dabei gibt der Lohnzettel ohnehin nur die halbe Wahrheit preis. Denn wenn einer heute 1500 Euro brutto verdient und davon knapp 1100 Euro netto ausbezahlt bekommt, dann kostet er seinen Arbeitgeber in Wahrheit etwa 1970 Euro. 870 nimmt der Staat, 1100 wandern aufs Gehaltskonto.


Die Studie über die Mobilität der Einkommen bei den Arbeitnehmern wirkt noch erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass sich Leistung vor allem bei den mittleren Einkommen kaum lohnt. Nicht die von Politikern so oft strapazierte Einkommensschere geht also auf, sondern vielmehr die Steuer- und Abgabenschere. Und die schneidet erbarmungslos dort hinein, wo sich bescheidener Wohlstand gerade erst einzustellen beginnt. Oder sollte man besser sagen: einstellen könnte?

Und genau dort, in der Mitte, wo Engagement viel zu wenig honoriert wird, weil sich der Staat ungeniert bedient, ist die Mobilität extrem hoch. Nur ein Fünftel verharrt im Lauf von elf Jahren in einer Einkommensstufe, jeder Zweite muss finanzielle Einbußen hinnehmen, jeder Dritte schafft es hingegen in eine höhere Gehaltsklasse. Mit anderen Worten: Wir haben hierzulande kein Armutsproblem, sondern eine veritable Verunsicherung in der Mitte.

Während sich also die ideologischen Grabenkämpfe um „die Armen“ und „die Reichen“ drehen und darüber debattiert wird, ob wir künftig Vermögen und Erbe höher besteuern sollen, macht sich die sichere Hand des Staates und der Staatenlenker beim sogenannten Mittelstand in erster Linie dort bemerkbar, wo aus brutto netto wird.

E-Mails an: gerhard.hofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2013)

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