Das Dilemma des Westens im ägyptischen Trauerspiel

Dilemma Westens aegyptischen Trauerspiel
Dilemma Westens aegyptischen Trauerspiel(c) EPA (David Ebener)
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In den USA und Europa tut man sich mit klaren Worten gegenüber Kairos (Militär-)Machthabern schwer. Nach den Toten vom Wochenende wird diese Haltung prekär.

Was ist groß und grau, hat eine faltige Haut, vier Beine, zwei Stoßzähne und einen Rüssel? Auch zoologisch weniger Gebildete tippen wohl auf einen Elefanten. Die Regierungen der USA und vieler europäischer Staaten würden aber vermutlich lieber Flamingo dazu sagen. Man ersetze die Beschreibung des Dickhäuters durch die Ereignisse in Ägypten in den vergangenen Wochen, man ersetze Elefant durch Putsch, und die Relation stimmt.

Wenn es nicht so ein Trauerspiel wäre – mittlerweile verbunden mit dem Verlust Dutzender Menschenleben –, man könnte über die Verrenkungen schmunzeln, mit denen sich der Westen um das Wort Putsch windet, teilweise unter Verwendung der Argumente, die Ägyptens Militär und die zivilen Kräfte, die den Coup stützen, freundlicherweise anboten. Warum, das ist kein Geheimnis. Wer Putsch sagt, muss auch Sanktionen sagen, und das will man vermeiden. Ägypten ist der Schlüsselstaat in der Region, das Militär ein strategischer Bündnispartner, vor allem Washingtons, vor allem im Hinblick auf Israel. Das Dumme ist, dass das auch das ägyptische Militär weiß; und es nützt sein Erpressungspotenzial geradezu lustvoll aus.

Dazu kommt: Auch wenn es in Washington, London, Paris oder Berlin niemand offen zugibt – warm geworden ist man mit den Islamisten nie, die in Tunis und Kairo an die Macht gekommen sind. Sympathieträger sehen in der Tat anders aus. Die Muslimbrüder, so gemäßigt sie sich im Gespräch mit westlichen Medien oft geben, pflegen im Kern ein totalitäres Verständnis von Religion. Man muss nur einen Blick in das Programm ihrer Gerechtigkeits- und Freiheitspartei werfen, um es über all den salbungsvollen Worten nicht zu vergessen. Ihr Fernziel ist eine vom (sunnitischen) Islam bis ins Letzte durchdrungene Gesellschaftsordnung, in der das religiöse Recht immer des weltliche sticht. Wie ernst sie es mit der Demokratie meinen, hat der gestürzte Präsident Mohammed Mursi durch die Dekrete gezeigt, mit denen er sich unangreifbar machen wollte. Man durfte da Zweifel bekommen, ob man in Ägypten 2012 einen Machtwechsel oder eine Machtergreifung erlebt hat.

Dennoch: Am 3.Juli wurde ein demokratisch gewählter Präsident vom Militär gestürzt. Und dieses Militär führt sich seither auf wie eine Besatzungsmacht im eigenen Land, auch wenn es als Feigenblatt eine Marionettenregierung installiert hat. Leute wie Mohammed ElBaradei sollten schleunigst ihre Ämter zurücklegen und nicht das Blutvergießen auch noch legitimieren helfen.

Ägypten ist wieder dort, wo es Jahrzehnte lang war: unter der Herrschaft des Militärs. Und so wie der Westen jahrelang gut mit Leuten wie Mubarak gelebt hat, so sucht er jetzt einen Modus Operandi mit der neuen Militärführung. Es hat sich nicht viel geändert, nur dass die Verlogenheit dieser Politik nach dem Arabischen Frühling noch sichtbarer ist.


Um nicht missverstanden zu werden: Realpolitik ist per se nicht verwerflich. Aber man sollte dann so mutig sein, zu ihr zu stehen. Dann kommt man freilich in die unangenehme Lage, einem Regime die Stange halten zu müssen, das seine Gegner niederschießen lässt. Viel deutet darauf hin, dass Letzteres am Wochenende – erneut – der Fall war. Oder man steht zu seinem Bekenntnis zu Demokratie und Menschenrechten. Beides zusammen wird nicht gehen. Das eine zu sagen, aber das andere zu tun ist von einer Verlogenheit, wie sie jene Ägypter, die seit 2011 ihr Leben für ein Leben ohne Diktatur aufs Spiel gesetzt haben, nicht verdient haben.

Ein guter Anfang für eine konzisere Politik des Westens wäre Tunesien. Das Geburtsland des Arabischen Frühlings hatte die besten Voraussetzungen, eine Erfolgsgeschichte daraus zu machen: viele gut ausgebildete Menschen, vergleichsweise wenig Tote während der Revolution, eine zum Kompromiss eher bereite politische Klasse. Lange sah es danach aus, als ob Tunesien es schaffen würde. Das steht nun wieder infrage. Man sollte im Westen alle Kräfte einsetzen, damit der Übergangsprozess auf Schiene bleibt, Politik und Zivilgesellschaft alle erdenkliche Unterstützung geben. Ein tunesischer Erfolg ist keine Garantie für die anderen Länder. Aber wenn die Lage sogar hier kippt, wäre das ein fatales Signal für die ganze arabische Welt.

E-Mails an: helmar.dumbs@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2013)

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