Wenn Militärs das Sagen haben und die Diplomaten versagen

In Ägypten zeigte Abdel Fattah al-Sisi, der starke Mann des Regimes, den Vermittlern die Grenzen auf. Die USA verlieren an Einfluss, es fehlt das Druckmittel.

Als der soignierte Karrierediplomat Mohammed ElBaradei vor gut zweieinhalb Jahren von seinem Wohnort Wien in seine Heimat Ägypten aufbrach, da machte er sich Hoffnung auf eine friedliche Revolution am Nil. Im Juni 2009 hatte US-Präsident Barack Obama in einer Rede an der Kairoer al-Azhar-Universität verheißungsvoll einen Neubeginn mit der islamischen Welt heraufbeschworen, und nun sollte er ihm und dem Rest der Welt im Zuge der „Arabellion“ – einer Welle der Demokratisierung – gleichsam als Geschenk des Himmels just im Herzen der arabischen Hemisphäre in den Schoß fallen.

Es schien, als erfüllte sich – wenngleich Jahre verspätet – die „Domino-Theorie“ des George W. Bush, die er selbstillusorisch mit dem Irak-Krieg verknüpfte. Nichts war indes trügerischer als die These vom serienweisen Sturz der Despoten, wie sich nach der ersten Euphorie offenbarte. Wenn Revolutionen eines lehren, dann dies: dass sie nicht eindimensional verlaufen; dass sie Rückschläge, Missverständnisse und, ja, auch Blutbäder hervorbringen, die die Verhältnisse auf den Kopf stellen und die das alte Regime als Ordnungsmacht wieder an die Herrschaft zurückbringen. Zuweilen in einer unheiligen Allianz mithilfe ausgerechnet jener Kräfte, die sich zuvor nach Jahrzehnten der Unterdrückung gegen deren Dominanz auflehnten. Als Militärhubschrauber mit der ägyptischen Fahne als Vorboten des Putsches über den Tahrir-Platz knatterten, schloss sich vor wenigen Wochen der Kreis in Kairo von der Revolution zur Restauration.

Keiner kann das besser bezeugen als der Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei, der Ex-Chef der Atomenergiebehörde. In einer Verkennung der Mehrheitsverhältnisse wähnte er sich erst schon als Präsident, ehe er vor allem im Westen zum Sprecher der liberalen Opposition mutierte und schließlich als Vizepräsident einer Übergangsregierung zum Erfüllungsgehilfen der Generäle, der alten Mubarak-Garde. Erst als sich Abdel Fattah al-Sisi, als Armeechef und Verteidigungsminister der starke Mann der Regierung, gegen seine Vermittlungsversuche sträubte und die Auflösung der Proteste in einem Massaker mündete, kündigte ElBaradei seine Loyalität auf. Seine vorläufige Rückkehr nach Wien markiert das Eingeständnis seines Scheiterns, selbst wenn er von Österreich aus noch einmal einen Anlauf für eine diplomatische Mission starten sollte.

An derlei Bemühungen hat es zuletzt ohnehin nicht gemangelt – zumindest nicht hinter den Kulissen. Die Obama-Regierung, die seit den Wirren um die Absetzung Mubaraks zwischen der Androhung möglicher Sanktionen und halbherziger Unterstützung lavierte und nie zu einer stringenten Linie gegenüber dem strategischen Partner in Kairo fand, hat erst Präsident Mohammed Mursi bekniet, die liberale Opposition stärker einzubinden. Als dies nichts fruchtete und die Militärs und die demokratischen Aktivisten den Muslimbruder aus dem Amt jagten, konzentrierten sich ihre Vermittlungsversuche auf al-Sisi, der von seinesgleichen als neuer Nasser gefeiert wird.


Gemeinsam mit der EU versuchte US-Vizeaußenminister William Burns den Militärmachthaber unter Vermittlung der Vereinigten Arabischen Emirate und von Katar zu einer friedlichen Lösung zu bewegen. Die Verhandlungen waren weit gediehen, als al-Sisi sie mit seiner Order zur Zerschlagung des Aufstands der Muslimbrüder schlagartig zunichtemachte. Sanfte Drohungen der Aufkündigung der US-Militärhilfe und der Absage von Militärmanövern verpufften, auch die zermürbenden Telefonate des US-Verteidigungsministers Chuck Hagel gingen ins Leere.

Im Nahen Osten haben sich die Gewichte verschoben: Die spendablen Golfstaaten und die Saudis kompensieren längst die Finanzspritzen aus Washington und Brüssel. Und der starke Mann des Regimes ließ dies die Vermittler deutlich spüren. Zudem weiß er, dass nur die ägyptische Armee die Stabilität für die US-Schutzmacht Israel halbwegs garantieren kann. Dem Westen fehlt ein ultimatives Druckmittel. Wo selbstherrliche Militärs das Sagen haben, versagt jede gut gemeinte Diplomatie. Das dämmerte auch dem US-Außenpolitik-Veteranen John McCain, als er nach einer Kairo-Visite unlängst orakelte: „Oh Gott, ich hätte nicht gedacht, dass es so schlimm ist.“

E–Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2013)

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