Auch nach dem Giftgas-Massaker in Syrien zögern die USA mit einer militärischen Reaktion. Erstens fehlen eindeutige Beweise, zweitens wollen sie nicht die extremistischen Gegner Assads stärken.
Barack Obama ist Gefangener seiner eigenen Rhetorik. Vor ziemlich genau einem Jahr hat der US-Präsident das syrische Regime öffentlich davor gewarnt, die „rote Linie“ zu überschreiten und Chemiewaffen einzusetzen.Die Konsequenzen buchstabierte er damals nicht aus. Doch jedem war klar, was gemeint war: das Ende der militärischen Zurückhaltung der USA im Syrien-Krieg.
Der Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte gerät nun unter Druck, seinen Worten Taten folgen zu lassen. Sollte sich der Verdacht bewahrheiten, dass vergangene Woche nahe Damaskus tatsächlich hunderte Menschen einem Giftgasangriff der syrischen Armee zum Opfer gefallen sind, dann muss Obama wohl oder übel handeln. Sonst verspielt er den letzten Rest an Glaubwürdigkeit, den die Supermacht in der Region noch hat.
Doch noch steht der US-Präsident auf der Bremse. Aus guten Gründen: Es fehlen bisher eindeutige Belege dafür, dass Syriens Armee tatsächlich chemische Waffen eingesetzt hat. So erschütternd die Bilder sind, massenhaft Tote zeigen, sie reichen als Beweis nicht aus. Man kann daraus nicht einwandfrei schließen, woran und durch wessen Hand sie gestorben sind: Notwendig wäre eine unabhängige Untersuchung von Blut-, Urin- und Gewebeproben. Doch wie soll das je möglich sein, wenn die Inspektoren der UNO keinen Zugang zum Ort des Grauens erhalten?
Syriens Regime hat natürlich jede Schuld von sich gewiesen und Schützenhilfe aus Moskau erhalten. Das russische Außenamt insinuierte, die Rebellen selbst hätten giftige Stoffe eingesetzt, um eine Militärintervention zu provozieren. Ein monströser Vorwurf. Umgekehrt bleibt schwer nachzuvollziehen, warum Assad ausgerechnet jetzt zu Chemiewaffen greifen sollte, wo er doch militärisch die Oberhand gewonnen hat und gerade UN-Kontrollore im Land sind.
Doch selbst wenn die offenen Fragen geklärt sein sollten, wird Obama zögern, sich in Syrien hineinziehen zu lassen. Denn erstens wird ihm der von China und Russland blockierte Sicherheitsrat kein Mandat für eine Militäraktion ausstellen. Und zweitens sind alle Kriegsoptionen in Syrien teuer und riskant, wie US-Generalstabschef Martin Dempsey dargelegt hat. Ein Einmarsch der US-Armee ist nach den Fiaskos im Irak und in Afghanistan ohnehin ausgeschlossen. Doch auch vor Luftangriffen und Flugverbotszonen scheuen die USA zurück. Sie wollen die extremistischen Gruppen, die sich im Chaos des syrischen Bürgerkriegs eingenistet haben, nicht weiter stärken. Versuche, eine vernünftige Opposition in Syrien aufzubauen, sind bekanntlich gescheitert. Keiner weiß, ob es nach Assad nicht noch schlimmer wird.
Obama hat eine schwierige Entscheidung zu treffen. Wenn er zuschlagen sollte, dann wohl mit Marschflugkörpern aus der Ferne. Das wäre vor allem ein symbolischer Akt, um Assad und der Welt vor Augen zu führen, dass die USA den Einsatz von Massenvernichtungswaffen nicht dulden. Am Kräftegleichgewicht in Syrien würde sich danach allerdings nur wenig ändern. Auch wenn es nach mehr als 100.000 Toten unerträglich ist: Es gibt keinen einfachen Ausweg aus der syrischen Hölle.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2013)